Verfassungsbeschwerde zum „Nachrichtenmittler“

Erste Hürde genommen: Bundesverfassungsgericht holt Stellungnahmen ein

Karlsruhe beschäftigt sich mit unserer Verfassungsbeschwerde zum sog. Nachrichtenmittler. Obwohl noch keine Entscheidung vorliegt, wollen wir darüber berichten, weil der Fall interessant ist und wir guter Hoffnung sind:

Rechtsanwalt Dr. Martin Schaar

Foto: Pepe Lange

Das Bundesverfassungsgericht sieht sich nämlich die von unserem Kollegen Dr. Schaar bereits im April 2020 eingereichte Verfassungsbeschwerde genauer an. Vom höchsten deutschen Gericht werden gerade Stellungnahmen zweier verschiedener öffentlicher Stellen – des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof und der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg – eingeholt (§ 94 BVerfGG).

Das ist schon ein Grund zu vorsichtigem Optimismus. Im Jahr 2021 sind 5.059 Verfassungsbeschwerden erhoben worden. Davon sind 4.944 nicht zur Entscheidung angenommen worden, das sind also 97,73 %. Anerkannt ist, dass in der Regel keine Stellungnahmen eingeholt werden, wenn die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen werden soll. Mit der Überwindung dieser ersten Hürde der Annahme zur Entscheidung besteht nun auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Gesamterfolgs, denn von den 115 im Jahr 2021 zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerden waren 67 erfolgreich (58,26 %).

Worum geht es in der Verfassungsbeschwerde? Bei unserem Mandanten und Beschwerdeführer fand eine Telefonüberwachung statt, obwohl er keiner Straftat verdächtig und also auch kein Beschuldigter war. Vielmehr wurde er im Rahmen eines Strafverfahrens gegen seinen Vater als sogenannter Nachrichtenmittler abgehört. Sein Vater wurde verdächtigt, vor langer Zeit einen Mord begangen zu haben. Die Ermittlungen waren bereits vor mehreren Jahrzehnten mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden und wurden 2019 durch die Abteilung „Cold Cases“ der Staatsanwaltschaft Hamburg wieder aufgenommen und mit einigem Engagement geführt. Letzteres mag man auch daran ablesen, dass sie auch öffentlich, u.a. bei „Aktenzeichen XY ungelöst“, geführt wurden.

Auch unser Mandant wurde als Zeuge vernommen. Im Anschluss an seine Zeugenvernehmung wurde die gesamte Telekommunikation des Mandanten für mehr als eineinhalb Monate überwacht. Die Maßnahme wurde damit begründet, dass davon auszugehen sei, dass der Mandant nach der Zeugenvernehmung seinen Vater kontaktieren und mit ihm über die Sache sprechen werde. Dies hat für das Gericht ausgereicht, obwohl der Mandant in seiner Zeugenvernehmung angegeben hatte, dass er seit mehr als 30 Jahren keinen Kontakt zu seinem im weit entfernten Ausland lebenden Vater hatte.

Der Kollege Dr. Schaar hält dies aus mehreren Gründen für rechts- und verfassungswidrig und hat seine Verfassungsbeschwerde insbesondere auf folgende Aspekte gestützt: Der Mandant sei schon kein Nachrichtenmittler im Sinne des § 100a Abs. 3 StPO und es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er tatsächlich mit seinem Vater in Kontakt getreten sein könnte. Auch sei der Umfang der Überwachung grob unverhältnismäßig, weil jedes aufgezeichnete Gespräch vollständig angehört und ausgewertet wurde, auch wenn bereits nach Sekunden eindeutig war, dass der Mandant mit anderen Personen und über andere Dinge sprach.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwarten wir auch deshalb mit Spannung, weil Abhörmaßnahmen bei völlig unbescholtenen Nachrichtenmittlern nach wie vor zum Tagesgeschäft der Strafverfolger gehören, ohne dass auch nur ansatzweise eine Klärung der rechtlichen Grundlagen und Grenzen vorliegt. Dies wird sich  nun mit unserer Verfassungsbeschwerde zum „Nachrichtenmittler“ hoffentlich ändern.


Gubitz + Partner „TOP Kanzlei“ und Dr. Lucke „TOP Anwalt“ im Wirtschaftsstrafrecht


Wir freuen uns darüber, dass Gubitz und Partner in dem aktuellen WirtschaftsWoche-Ranking für das Jahr 2023 erneut als „TOP Kanzlei“ im Wirtschaftsstrafrecht ausgezeichnet worden ist. Unser Kollege Dr. Ole-Steffen Lucke ist zudem als „TOP Anwalt 2023“ im Wirtschaftsstrafrecht empfohlen worden.

Das Handelsblatt Research Institute hat im Auftrag der WirtschaftsWoche rund 1.600 Juristinnen und Juristen aus 231 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kolleginnen und Kollegen für das Wirtschaftsstrafrecht u.a. befragt. Nach einer daran anknüpfenden Prüfung der Bewertungen durch eine Jury setzten sich für das Wirtschaftsstrafrecht 46 Kanzleien mit 77 Anwältinnen und Anwälten durch. Die Jury bestand aus den folgenden Personen: Jan Eckert (ZF), Sebastian Lochen (Thyssenkrupp), Anke Louis-Byers (Peek & Cloppenburg Düsseldorf), Claas Westermann (RWE) und Achim Schunder (C.H. Beck).

Wir freuen uns über die erneuten Auszeichnungen durch die WirtschaftsWoche, die wir seit 2020 im nunmehr dritten Jahr in Folge erhalten.

Der begleitende Artikel „WiWo Top-Kanzleien – Die Abrechnung“ von Claudia Tödtmann sowie das vollständige Ranking vom 17. März 2023 können hier abgerufen werden.


Dr. Buchholz ist Fachanwalt für Strafrecht


Vergangene Woche erreichte uns die Urkunde: Auch unser Kollege Dr. Buchholz darf sich nun Fachanwalt für Strafrecht nennen! Zwei der Voraussetzungen, die Anzahl der Fälle und der notwendigen Hauptverhandlungstage, hatte er seit langem erfüllt. Eine weitere konnte er nicht weiter beeinflussen: 3 Jahre Zulassung als Rechtsanwalt. Diese sind nun erreicht und das strafrechtrechtliche Profil unserer Kanzlei wird weiter geschärft.

Fachanwaltsurkunde

Dr. Buchholz konzentrierte sich seit den Anfangssemestern seines Studiums auf das Strafrecht, jobbte bei einem Strafverteidiger und belegte den Schwerpunkt Kriminalwissenschaften. Nach erfolgreichem 1. Staatsexamen promovierte er am Institut für Kriminalwissenschaften der CAU zu Kiel mit einer Arbeit zu einem zentralen Thema der Strafprozessordnung: Die Selbstbelastungsfreiheit. Im Referendariat richtete er seine Tätigkeit mit Stationen u.a. in unserer Kanzlei und dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Schleswig weiter auf das Strafrecht aus. Seit 2019 ist er Rechtsanwalt bei uns, verteidigt in allen Deliktsbereichen und in letzter Zeit auch schwerpunktmäßig im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, veröffentlicht vielfältig in Fachzeitschriften und ist Dozent an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“ bestätigt seine ausgewiesene Expertise.

Dr. Momme Buchholz am Schreibtisch

Foto: Pepe Lange

Herzlichen Glückwunsch, lieber Momme!


Haltbarkeitsdatum abgelaufen – Durchsuchung rechtswidrig


Die Durchsuchung war rechtswidrig. Gesucht wurden Substanzen, die unter das Anti-Doping-Gesetz fallen, und andere Beweismittel. Es gab auch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts und einen Tatverdacht. Das Problem war aber, dass die Ermittler die Durchsuchung erst nach einem halben Jahr (genauer: 5 Monate und 30 Tage) durchführten. Das hat unseren Kollegen Dr. Buchholz veranlasst, hiergegen Rechtsmittel einzulegen. Er hat beantragt, die Durchsuchung für rechtswidrig zu erklären. Und das Landgericht Kiel hat ihm nun Recht gegeben: Solange bleibt ein Durchsuchungsbeschluss nicht haltbar. Er ist ein fragiles Konstrukt, mit dem aufgrund einer auf Tatsachen basierenden Bewertung des Ermittlungsgerichts ein Grundrechtseingriff gerechtfertigt werden soll. Und solche Tatsachen können sich natürlich mit der Zeit ändern.

Hier dazu die Leitsätze einer wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Beschluß des Zweiten Senats vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92 –:

Das Landgericht Kiel folgt ausdrücklich dieser Entscheidung und auch der darin genannten Grenze von einem halben Jahr als Maximum. Es sieht im vorliegenden Fall also das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung Art. 13 GG verletzt, zumal nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses durch das Amtsgericht keinerlei Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden waren.

Die Entscheidung ist deshalb besonders wertvoll, weil es Bestrebungen anderer Gerichte (OLG Zweibrücken) gegeben hat, die Limitierung aufzuweichen und Durchsuchungen auch darüber hinaus zulassen zu wollen.

RA Momme Buchholz

Foto: Pepe Lange

Unser Kollege – seit letzter Woche auch Fachanwalt! – wird daher den Beschluss auch den einschlägigen Fachzeitschriften (NStZ, Strafverteidiger und StraFo) zur weiteren Verbreitung zusenden.


Bucerius Compliance Officer Alumni Summit 2023

Ein Tagungsbericht

Am 02.03.2023 fand das diesjährige Treffen der Absolventinnen und Absolventen des Bucerius Compliance Officer Zertifikatslehrgangs statt, an dem auch unsere Kollegin Carolin Püschel teilgenommen hat.

In dem Zertifikatslehrgang werden nicht nur die Grundlagen und die verschiedenen Bereiche der Compliance umfassend dargestellt, sondern auch die sich in der Compliance-Praxis regelmäßig stellenden Herausforderungen und damit korrespondierenden Lösungsansätze. Der Lehrgang wird von dem Bucerius Center on the Legal Profession (Bucerius CLP) in Hamburg angeboten und schließt mit dem Zertifikat „Bucerius Compliance Officer“ ab. Dies setzt voraus, dass die im Rahmen des Lehrgangs abgehaltenen Prüfungen erfolgreich absolviert werden (weitere Informationen zu dem Programm gibt es hier; für einen Überblick zu weiteren Möglichkeiten der Zertifizierung bzw. Ausbildung im Bereich Compliance vgl. Fila/Püschel: Wie misst man Compliance? – Ein aktueller Überblick zu den Möglichkeiten der Zertifizierung von Compliance-Management-Systemen und Compliance-Verantwortlichen, Newsdienst Compliance 2019, 210017).

Bei dem Bucerius Compliance Officer Alumni Summit 2023 ging es thematisch u.a. um den Umgang mit Whistleblowing und die (voraussichtlichen) Auswirkungen des Hinweisgeberschutzgesetzes am Beispiel eines großen börsennotierten Unternehmens. Ein weiterer Vortrag widmete sich den Herausforderungen, Risiken und Compliance-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beauftragung von Fremdpersonal.

Im Rahmen der sich hieran anschließenden Diskussionsrunden hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, verschiedene aktuelle Compliance-Themen in kleinerer Runde zu erörtern. Im Zentrum der Diskussionen standen die folgenden Themen bzw. Thesen:

  • Vertragspartner-Compliance – Chancen und Risiken in der Praxis
  • Kartellrechts-Compliance – Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung
  • Ist Internal Regulation-Management in Zeiten von Behavioral Compliance noch relevant? Spannungsfeld Regelsetzung und Regelbefolgung
  • Steigende Anforderungen an die EU-Geldwäsche-Compliance – Ein Thema (nicht) nur für Finanzinstitute)
  • Das Ringen um saubere Geschäfte – Außenwirtschaftliche Compliance-Risiken & -Lösungen bei der Umsetzung von Sanktionsmaßnahmen am Beispiel der sog. Russland-Sanktionen

Die Diskussionsrunde zu den sog. Russland-Sanktionen wurde von unserer Kollegin Carolin Püschel geleitet. Die Teilnehmenden tauschten sich dabei insbesondere zu ihren Erfahrungen mit den Herausforderungen des Sanktionslisten-Managements, der Geschäftspartnerprüfung und der Business Continuity aus. Ferner wurden Möglichkeiten und Risiken im Zusammenhang mit eventuellen Umgehungsgeschäften und Rückübertragungsverträgen diskutiert. Im Zuge der Diskussionen wurde deutlich, dass die Frage der praktischen Umsetzung von Sanktionsmaßnahmen nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine unternehmens- und gesellschaftspolitische Dimension hat. Dies mache die Beantwortung dieser Frage aus Sicht verpflichteter Unternehmen im Einzelfall nicht leicht. Die Teilnehmenden waren sich zudem einig, dass es sich bei den Themen Geschäftspartnerprüfung, Lieferketten- und Sanktionsmanagement sowie Außenwirtschafts-Compliance um Themen handelt, die für Unternehmens- und Compliance-Verantwortliche auch in den kommenden Jahren weiter im Fokus stehen werden.

Im Anschluss wurden die Ergebnisse des Tages – und weitere Themen – im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens besprochen.

Der nächste Bucerius Compliance Officer Alumni Summit ist für das Jahr 2024 geplant.

 

 


Newsdienst Compliance

Ausgabe 2/2023

Im Editorial des Newsdienst Compliance widmet sich Dr. Matthias Peukert (NEUWERK Partnerschaft von Rechtsanwält:innen mbB) den aktuellen Entwicklungen zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (sog. EU-Whistleblower-Richtlinie) in Deutschland. Nachdem der Bundesrat am 10. Februar 2023 seine Zustimmung zu dem Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes verweigert hat, müsse davon ausgegangen werden, dass eine baldige Verabschiedung des Entwurfs nicht zu erwarten sei. Jedoch sei ein zeitnaher Kompromiss aufgrund des Drucks aus Brüssel unumgänglich – denn die EU-Kommission habe angesichts der vor mehr als einem Jahr erfolglos verstrichenen Umsetzungsfrist inzwischen ein Klageverfahren gegen Deutschland eingeleitet (s. hierzu näher im Bereich Nachrichten der Ausgabe 2/2023).

Unsere Kollegin Carolin Püschel hat für die Beitragskategorie der aktuellen Gesetzentwicklungen ein Update zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verfasst. So hat sich der Bundesrat in seiner soeben bereits erwähnten Sitzung am 10. Februar 2023 auch einem Antrag des Freistaates Bayern in Sachen LkSG gewidmet. Das Ziel dieses Antrags vom 13. Dezember 2022 bestand in einer Entschließung des Bundesrats, das Inkrafttreten des LkSG auszusetzen. Zur Begründung verwiesen die Antragsteller u.a. auf die enormen Belastungen für die deutsche Wirtschaft aufgrund der Herausforderungen der letzten Jahre. Da lediglich eine Minderheit für die Entschließung stimmte, lehnte der Bundesrat den Antrag (im übertragenen Sinne) ab.

Entgegen der zum Zeitpunkt der Antragstellung geäußerten Befürchtungen der Antragsteller sind zwischenzeitlich doch noch mehrere offizielle Handlungsempfehlungen und Leitfäden zur Konkretisierung der Anforderungen des LkSG veröffentlicht worden. Der Beitrag nennt diese Orientierungshilfen unter Angabe der korrespondierenden (Online-) Fundstellen. Kurz nach Redaktionsschluss der aktuellen Ausgabe des Newsdienstes ist zudem eine (weitere) Aktualisierung der Fragen und Antworten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zum LkSG veröffentlicht worden.

In einem ND Spezial thematisieren unsere Kollegen Arne Engels und Katarina Gemmerich aus den Kanzleien GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB und AMLG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH die Änderungen im Transparenzregister durch das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II. Diese betreffen u.a. die Neudefinition des Immobilienbegriffs, die Aufnahme wesentlicher Immobiliendaten in das Transparenzregister sowie die Bearbeitung von Unstimmigkeitsmeldungen. Letzteres betrifft vorwiegend Vereinigungen und Immobilienbesitzer, die nach Unstimmigkeitsmeldungen nun weitergehende Informationen an den Erstatter der Unstimmigkeitsmeldungen herauszugeben haben. Von den wesentlichen Auswirkungen dieser Änderungen auf die aktuelle Praxis sind insbesondere ausländische Gesellschaften betroffen, die in Deutschland Immobilien besitzen. Dieser Bereich ist zudem mit einigen offenen Fragestellungen verbunden, die künftig zu klären sein werden.

Die Ausgabe 2/2023 enthält zudem eine Reihe weiterer aktueller Nachrichten, Aufsatzzusammenfassungen und eine Liste aktueller Veröffentlichungen in dem Bereich Compliance.

Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe des Newsdienstes Compliance!

Der Volltext der Ausgabe 02/2023 kann hier abgerufen werden.

 


Protokollberichtigung – neuer Praxiskommentar

Urteil in EncroChat-Verfahren aufgehoben

In der aktuellen Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Strafrecht – NStZ (2/2023, Seite 120-122) analysiert unser Kollege Dr. Buchholz in einem Praxiskommentar zur nachträglichen Protokollberichtigung eine Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in einem sog. EncroChat-Verfahren.

Protokollberichtigung

Dabei ging es überraschender Weise nicht um die (Verwertung der) Chatprotokolle des EncroChat-Handys, sondern vor allem um das Wirkstoffgutachten hinsichtlich des in Rede stehenden Amphetamins. Dieses Gutachten sollte im Wege des sog. Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung beweisrechtlich Eingang finden. Das bedeutet, dass Urkunden in der Verhandlung nicht laut vorgelesen und dadurch eingeführt, sondern zwischen den Verhandlungstagen von den Beteiligten „selbst“ gelesen werden.

Das soll Strafprozesse vereinfachen und verkürzen – und das tut es auch, ist aber auch fehleranfällig, wie man an diesem Fall sieht: Die Vorsitzende der Kammer (Landgericht Frankfurt am Main) stellte nach Abschluss des Selbstleseverfahrens im Sitzungsprotokoll nur hinsichtlich „der Schöffen, der Vertreter der StA, der Verteidiger sowie der Angeklagten“ fest, dass diese erklärten, „vom Inhalt des Selbstleseordners voll umfänglich Kenntnis genommen haben“.

Worin liegt das Problem? In dieser Aufzählung fehlen welche. § 249 Abs. 2 S. 1 StPO verlangt selbstverständlich auch die Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden durch die Berufsrichterinnen. Folgerichtig wurde Revision eingelegt.

Die Kammervorsitzende behauptete nun, dass die Kenntnisnahme durch die Berufsrichterinnen zwar festgestellt, nur versehentlich nicht ins Protokoll aufgenommen worden sei. Daraufhin erließ die Kammer einen entsprechenden Protokollberichtigungsbeschluss. Da dies jedoch zu einer sog. Rügeverkümmerung der Revision führen würde, war ein strenges Protokollberichtigungsverfahren einzuhalten. Dessen formelle und materielle Voraussetzungen benennt der 2. Strafsenat  geradezu lehrbuchartig. Unser Kollege Dr. Buchholz kann da in seinem Kommentar nur zustimmen.

So kam der Senat zu der Auffassung, dass eine Protokollberichtigung vorliegend ausscheide, da bereits die dienstlichen Erklärungen der Vorsitzenden sowie der Protokollkraft den Beschluss inhaltlich nicht tragen. Ausnahmsweise wurde also doch einmal ein Urteil in einem EncroChat-Verfahren aufgehoben. Allerdings aber nicht, wie auch zu lesen und zu hören war, wegen der Unverwertbarkeit der Daten, sondern „nur“ wegen der Rechtsfehler im Selbstleseverfahren.

Für kritikwürdig hält unser Kollege aber einen Aspekt des Verfahrens der Protokollberichtigung. Kammervorsitzende leiten nämlich ihre dienstlichen Erklärungen der Protokollkraft zu, bevor diese selbst ihre Erklärung formulieren. Dieser Praxis sollte ein Ende bereitet werden. Die Gefahr liegt allzu nahe, dass die Protokollkraft bewusst oder unbewusst von dem Inhalt des vorgelegten beeinflusst wird. Eine Rechtfertigung für eine solche fehleranfällige Praxis ist auch nicht erkennbar.

Dr. Buchholz schlägt in dem Praxiskommentar daher vor, den Ablauf der Abgabe der dienstlichen Erklärungen dahingehend zu ändern, dass Vorsitzende und Protokollkraft unabhängig voneinander ihre Erinnerungen in den dienstlichen Erklärungen darstellen.


BRAK-Stellungnahme zur Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung


Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat sich in ihren Ausschüssen Strafprozessrecht und Strauda (Strafrechtsausschuss) intensiv mit dem Gesetzentwurf zur Einführung der audio-visuellen Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung befasst und diesen mit ausführlichen Stellungnahmen begrüßt. Dem Ausschuss Strafprozessrecht gehört auch unser Partner Michael Gubitz an.

Worum geht es? Bislang findet im Strafprozess eine überprüfbare Dokumentation der Beweisaufnahme und ihrer Ergebnisse nicht statt. Am Landgericht werden nur wesentliche Förmlichkeiten (z.B. Aufruf, Belehrungen, Anträge, Zwischenentscheidungen, Personalien von Zeugen, Art der Beweisaufnahme), jedoch nur in Ausnahmefällen auch Inhaltliches protokolliert. Eine „offizielle“ Niederschrift dessen, was Zeugen aussagen, findet nicht statt. Jede:r Beteiligte schreibt nach eigenem Ermessen fleißig mit und nicht selten wird sich an Folgetagen eifrig um die Richtigkeit des Notierten gestritten.

Immer, wenn dieser Umstand Außenstehenden erzählt wird, stößt dies auf ungläubiges Erstaunen. Immerhin wird in diesen Prozessen über erhebliche Eingriffe in die Grundrechte (Freiheit, Vermögen) der Angeklagten entschieden. Dabei sollte doch wenigstens gewährleistet sein, dass dies auf einer möglichst unbestreitbaren Tatsachengrundlage geschieht.

Das ist nicht der Fall, im Gegenteil: Mit diesem Defizit an Dokumentation der Verhandlung geht ein Übermaß an Vertrauen in die tatrichterliche Unfehlbarkeit, was die Wahrnehmung und Wiedergabe der Beweisaufnahme und des Verlaufs der Verhandlung angeht, einher. Die Darstellung im Urteil hierzu kann kaum aussichtsreich mit der Revision angefochten werden, insoweit soll ein „Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme“ gelten. Das wird seit Jahrzehnten von Anwaltsseite und aus der Wissenschaft angegriffen. Richter:innenverbände und staatsanwaltschaftliche Interessenvertretungen konnten mit dem Status quo gut leben.

Doch nun kommt Bewegung in die Sache und es gibt einen Referentenentwurf des BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz DokHVG), Stand: 22.11.22, sowie einen des Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer: AlternativEntwurf Audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung (AEADH).

In dem Informationsschreiben des BRAK-Ausschusses Strafprozessrecht an alle Rechtsanwaltskammern heißt es:

„Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Umstellung des Protokollierungssystems auf einen modernen technischen Standard sollten so schnell wie möglich geschaffen werden (…). Die durch digitale Aufzeichnungstechniken entstandenen Möglichkeiten zur Anfertigung einer Bild-Ton-Aufzeichnung müssen für das Strafverfahren nutzbar gemacht werden. Gegenstand des Strafverfahrens ist die Frage, ob ein staatlicher Grundrechtseingriff von erheblicher Tragweite angeordnet wird. Schon deshalb müssen die äußeren Rahmenbedingungen des Verfahrens nach Möglichkeit so gestaltet werden, dass ein gerichtliches Urteil auf zutreffender Tatsachengrundlage ergeht.

Dazu gehört bei dem heute erreichten Stand der Aufzeichnungstechnik, dass auch der Verlauf einer Hauptverhandlung in Strafsachen so dokumentiert wird, dass innerhalb des Verfahrens jederzeit sowohl für die Verfahrensbeteiligten der jeweiligen Hauptverhandlung als auch für die weiteren Verfahrensbeteiligten in gegebenenfalls späteren Rechtsmittelinstanzen nachvollzogen werden kann, welchen Inhalt die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hatte.

Dies wird sich auf den Prozess der Entscheidungsfindung in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken: Die Mitglieder des Gerichts sind nicht mehr gezwungen, selbst Mitschriften anzufertigen, wenn ihnen eine authentische Dokumentation der Hauptverhandlung zur Verfügung steht. Zugleich ist sichergestellt, dass der Inhalt mündlicher Äußerungen in der Hauptverhandlung (insb. von Sachverständigen und von Zeugenaussagen) jederzeit zuverlässig nachvollzogen werden kann. (…) Auseinandersetzungen über den Inhalt von mündlichen Erklärungen, die in der Praxis immer wieder auftreten, können auf diese Weise vermieden werden.

Schon weil zu erwarten ist, dass bis zur praktischen Umsetzung durch die Justizverwaltungen noch ein erheblicher Zeitraum vergehen wird, sollte das Gesetzgebungsverfahren möglichst rasch vorangebracht werden. Die Einführung eines modernen audiovisuellen Aufzeichnungssystems wäre ein Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Strafprozesses. Angesichts des heute erreichten Standes der Aufzeichnungstechnik ist sie ein Gebot der Stunde.“

   

Dokumentation der Hauptverhandlung

   

Die gesamte Stellungnahme finden Sie (auch) hier.


Newsdienst Compliance – Jahrgang 10


Newsdienst Compliance – Ausgabe 01/2023

Der von uns im C.H.Beck-Verlag (mit-)herausgegebene Newsdienst Compliance ist in das Jahr 2023 gestartet. Die zugleich erste Ausgabe des 10. Jahrgangs des Newsdienstes widmet sich u.a. diesen Themen:

Im Editorial der aktuellen Ausgabe hat unsere Kollegin Carolin Püschel die in diesem Jahr perspektivisch anstehenden Herausforderungen für Unternehmen und Compliance-Verantwortliche in den Blick genommen. Danach dürfte insbesondere die Umsetzung und Beachtung der zahlreichen gesetzlichen Neuerungen für nicht unerheblichen Handlungsbedarf auf Unternehmensseite sorgen. Hierzu zählen u.a. das am 01.01.2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder das sich aktuell auf der Zielgeraden befindliche Hinweisgeberschutzgesetz.

Weitere Gesetzentwicklungen werfen ihre Schatten voraus. So wird mit Spannung zu erwarten sein, ob es in diesem Jahr oder jedenfalls noch in dieser Legislaturperiode zu einem erneuten Anlauf einer Reform des Unternehmenssanktionenrechts (vgl. hierzu S. 106 des Koalitionsvertrags) und/oder der Vorratsdatenspeicherung kommen wird. Auch um den Regelungsgehalt der 11. GWB-Novelle (des sog. Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes) wird nach wie vor mit harten Bandagen gekämpft.

Newsdienst Compliance RAin Carolin Püschel

Foto: Pepe Lange

Besondere Herausforderungen (auch) mit Blick auf die Compliance stellen zudem nicht nur die gegenwärtigen wirtschaftlichen Parameter, wie die vielfach noch spürbaren Nachwirkungen der Corona-Pandemie, stockende Lieferketten und die Preisinflation, dar. Vielmehr dürften sich im kommenden Jahr auch eine Reihe (gesellschafts-)politischer Risiken nach wie vor stellen oder verschärfen. Zu letzteren zählt zunehmend auch das Phänomen der sog. strategischen Korruption. Hierunter werden Bestrebungen insbesondere autokratisch geführter Staaten verstanden, um über den Weg der Korruption die politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität anderer, insbesondere demokratischer Staaten auszuhöhlen. Parallel dazu wird hierdurch versucht, die Interessen der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu fördern. In der Öffentlichkeit bekannt gewordene Beispiele des Einsatzes strategischer Korruption anderer Staaten in Deutschland und Europa waren in jüngerer Zeit etwa die sog. Aserbaidschan-Affäre, das Qatargate oder die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV (weitere Informationen finden Sie hier). Der am 31.01.2023 von Transparency International veröffentlichte Korruptionswahrnehmungsindex 2022 (Corruption Perceptions Index, CPI) hatte in dem vergangenen Jahr eine Zunahme der Fälle versuchter oder erfolgreicher strategischer Korruption verzeichnet.

Neben einer Reihe weiterer aktueller Nachrichten und Veröffentlichungen im Bereich Compliance, haben sich unsere geschätzten Kollegen der Kanzlei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB darüber hinaus in einem ND Spezial der am 23. Dezember 2022 in Kraft getretenen Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen (Verordnung (EU) 2022/2560 – auch „Foreign Subsidies Regulation“) gewidmet. Im Rahmen dieses Beitrags werden insbesondere die Anwendungsbereiche der Verordnung und die sich daraus ergebenden Meldepflichten dargestellt. Diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Verordnung sind mitunter schwierig zu beantworten, da seitens der Kommission bislang noch keine begleitenden Anwendungsleitlinien veröffentlicht worden sind. Zudem sind Erfahrungen aus einer belastbaren Entscheidungspraxis noch nicht vorhanden.

Wir wünschen Ihnen daher viel Vergnügen bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe des Newsdienstes und viel Erfolg für alle beruflichen und privaten Vorhaben der kommenden Monate!

Übersicht Newsdienst Compliance 1/2023

Der Volltext der Ausgabe 01/2023 kann hier abgerufen werden.


Spannungsfeld von Opferschutz und Beschuldigtenrechten


„Das Strafverfahren im Spannungsfeld von Opferschutz und Beschuldigtenrechten“ – unter diesem Titel hielt unser Kollege Martin Schaar am 25. November 2022 auf Einladung des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein einen Vortrag auf der Tagung XX. Forensische Gespräche  in Lübeck.

Gegenstand des Vortrages vor zahlreichen Rechtsmedizinern, Ärzten sowie Vertretern von Gerichten und Staatsanwaltschaften war eine kritische Auseinandersetzung mit opferorientierter Kriminalpolitik und deren Folgen für das Straf- und Strafverfahrensrecht.

Folie Vortrag HL

Dies wurde unter anderem anhand der wenig gelungenen Neufassung der §§ 58a und 255a StPO illustriert. Die Vorschriften sollen den Geschädigten von Sexualstraftaten belastende Vernehmungen in der Hauptverhandlung ersparen, indem ihre Vernehmung bereits im Ermittlungsverfahren durch eine/n Richter:in durchgeführt und in Bild und Ton aufgezeichnet wird.

§ 255a StPO gestattet es dann, diese Aufzeichnungen später als Ersatz für eine Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung einzuführen (obschon damit ein gewisser Verlust an Beschuldigtenrechten verbunden ist, da die Verteidigung die Aussage nicht mehr unmittelbar hinterfragen kann).

In der Praxis, so die These des Kollegen, führt die Anwendung der Vorschrift häufig  zu mehr Vernehmungen als eigentlich notwendig und wirkt sich damit im Spannungsfeld von Opferschutz und Beschuldigtenrechten tatsächlich zulasten beider aus.