Unten finden Sie einen Artikel der Itzehoer Nachrichten mit Interview-Äußerungen unseres Kollegen Gubitz zu einem speziellen Geschehen. Kurzfassung: Bei einer „Michaeli-Feier“ der Waldorfschule Itzehoe basteln Schüler:innen einen Drachen, der mit queeren Merkmalen bzw. gay ausstaffiert wurde, wohl als Symbol für das Böse. Danach stecken sie ihn in Brand, wohl als Symbol für den Sieg des Guten. Hier und hier finden Sie ohne Bezahlschranke ausführliche Beschreibungen des Falls. Die Fragen des Journalisten drehen sich natürlich um eine (straf-)rechtliche Bewertung. Eine Leseversion der (Original-)Antworten finden Sie ebenfalls am Ende des Textes.

Dieser Blog ist ein guter Ort, auch noch etwas zum Hintergrund solcher Interviews loszuwerden:

Manchmal werden wir als Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger gefragt, ob ein bestimmtes Verhalten strafbar ist. Manchmal auch von Journalisten außerhalb konkreter eigener Mandate. Ehrlich: Das beantworten wir grundsätzlich gerne, ist es doch eine gute Gelegenheit, sich einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren; im günstigsten Fall mit entsprechendem Fachwissen. Für uns nicht ganz einfach sind Journalistenanfragen zu konkreten Vorgängen der Zeitgeschichte, wenn wir erstens Informationen nur aus den Medien haben und zweitens aus der Entfernung schon glauben, da könnte strafrechtlich was dran sein.

Wir haben schon eine gewisse Hemmschwelle, als Strafverteidiger dann quasi nach dem Staatsanwalt zu rufen und auch schon entsprechende Anfragen abgelehnt. In diesem Fall hat unser Kollege Gubitz es nicht getan.

Wir wollen das hier kurz erklären: Wir leben in unruhigen Zeiten. Antisemitismus, Homophobie, Fremden- und Queerfeindlichkeit nehmen in der öffentlichen Wahrnehmung und an der Wahlurne zu. Was hat das mit Strafverteidigung zu tun? Jedenfalls dann sehr viel, wenn man den Beruf auch als Schutz des Schwächeren (Beschuldigten) gegenüber dem Stärkeren (Staat) versteht. Vor diesem Hintergrund ist die strafrechtliche Einordnung einer doch wohl offensichtlich queerfeindlich gemeinten Aktion zu verstehen.

Also zugegeben: Innerhalb eines Mandats prüfen wir die Rechtslage offen, stellen sie aber im Gericht und den Medien nicht offen, sondern einseitig dar. Außerhalb eines Mandats macht der Kollege Gubitz es so: Jedenfalls dann, wenn es um ein Verhalten geht, dass (vereinfacht gesagt) zum Rechtsruck in der Gesellschaft beiträgt, stellt er seine rechtliche Einordnung (hoffentlich) objektiv, dar, auch wenn für ihn als Strafverteidiger ein Anfangsverdacht für die Begehung von Straftaten möglich erscheint. So war es in diesem Fall.

Hier zunächst ein Faksimile aus der der Ausgabe der Itzehoer Nachrichten vom 19. Oktober 2023, Seite15, es wurde neben unserem Kollegen Gubitz auch der Medienwissenschaftler Christian Möller befragt:

Waldorfschule Itzehoe

Und nun noch einmal die Original-Fragen und Antworten:

Wo ist die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und strafbaren Äußerungen?

Allgemein kann man erst einmal sagen, dass die Meinungsfreiheit schon nach dem Grundgesetz nicht schrankenlos gilt, Art. 5 Abs. 2 GG, sondern durch allgemeine Gesetze, also auch das Strafgesetzbuch eingeschränkt werden kann und wird.

Hier kann man an den Straftatbestand des § 130 StGB; Volksverhetzung, denken. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn u.a. die Menschenwürde anderer durch ein bestimmtes Verhalten angegriffen wird. Sobald das anzunehmen ist, spielt die Meinungsfreiheit keine Rolle mehr, denn mit ihr kann die Menschenwürde nicht abgewogen, also quasi relativiert werden; das gleiche würde auch für die Kunstfreiheit gelten, außerdem ist nicht jede Bastelei ein Kunstwerk.

War das nur dumm oder justiziabel?

Aus meiner Sicht war es dumm und bösartig. Justiziabel ja offenbar schon insoweit, als dass die Schulaufsicht aktiv geworden ist. Ob es auch justiziabel nach dem Strafrecht war, hängt von einigen Wertungen ab. Man kann natürlich den Drachen angucken und sich fragen, wer gemeint war. Es spricht wohl viel dafür, dass queere Menschen symbolisiert wurden. Dann wäre die nächste Frage, ob mit der Aktion deren Menschenwürde angegriffen wurde. Da muss man erstmal feststellen, dass die sexuelle Orientierung zum Kern der Persönlichkeit gehört. Dann bleibt fast nur noch die Frage, ob der betroffene Personenkreis als unterwertig dargestellt, ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft abgesprochen wurde. Und anscheinend sollte doch mit der Aktion symbolisiert werden, dass das „Gute“ das „Böse“ tötet. Wenn sich das Micheli-Fest also so zusammenfassen lässt und das Ganze hier auch von den Beteiligten so gemeint war, dann kommt eine Strafbarkeit in Betracht.

Was ist erlaubt, was nicht?

S.o.

Der Drache war ein Kunstwerk, hat Kunstfreiheit in dem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert?

S.o.

Das Ganze ist an einer Schule passiert, sind die Schüler (Strafmündigkeit vorausgesetzt) überhaupt zur Rechenschaft zu ziehen oder hätte man voraussetzen müssen, dass ein Lehrer da moderierend eingreift (so es denn justiziabel gewesen sein sollte)?

Schülerinnen und Schüler wären, wenn sie 14 sind, strafmündig. Allerdings wäre hier Jugendrecht einschlägig, in diesem wird in erster Linie danach gefragt, inwieweit erzieherisch eingewirkt werden muss. Hier würde zu berücksichtigen sein, dass Schülerinnen und Schüler grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass Lehrerinnen und Lehrer sich an die Gesetze halten. Selbst wenn also eine Volksverhetzung angenommen würde, könnte von der strafrechtlichen Verfolgung der Schülerinnen und Schüler abgesehen werden. Die Lehrerinnen und Lehrer, die sich an dem Ganzen durch Handeln oder Unterlassen beteiligt haben, können sich strafbar gemacht haben.

Welche Strafe kann das denn nach sich ziehen?

Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2, der hier einschlägig sein könnte, hat einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Im Jugendstrafrecht spielt der Strafrahmen aber, wie gesagt, keine große Rolle.