Notwehr gegen Femizid – Unsere Mandantin hat ihren Partner in Notwehr getötet. Sie sah sich über drei Jahre einem Strafverfahren wegen dieser Tat und damit einem schrecklichen Verdacht ausgesetzt. Mit diesem Verdacht wurde sie auch in ihrem beruflichen, sozialen, privaten Umfeld ständig konfrontiert. Das Landgericht Kiel hat nun entschieden: Ein Tatverdacht ist nicht gegeben. Unsere Mandantin hat in Notwehr gehandelt, sie ist unschuldig. In rechtlicher Hinsicht ist unsere Mandantin damit rehabilitiert. Mit dieser Darstellung sollen Hintergründe beleuchtet und damit nicht zuletzt auch ein besseres Verständnis in der öffentlichen Wahrnehmung erreicht werden. Zugleich stellen wir, wie immer, auch unsere Rolle als Verteidiger dar.

Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen stellt Gewalt von Männern gegen Frauen ein unterschätztes Problem unserer Zeit dar. Täglich versuche irgendwo in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Und jeden dritten Tag gelinge das. Tötungen durch den (Ex-)Partner seien weltweit die häufigste unnatürliche Todesursache bei Frauen. Wissenschaftlich ist, soweit wir sehen, in Deutschland das Thema noch nicht vertieft aufgearbeitet. An der Universität Tübingen wird derzeit an einer empirisch-kriminologischen Untersuchung gearbeitet.

Natürlich können Statistiken nicht abbilden, welche tragischen Einzelschicksale sich hinter jedem Fall verbergen. Nicht selten gehen die Gewaltanwendungen über Jahre. Und wenn sich Frauen zur Wehr setzen, müssen sie damit rechnen, dass es beim nächsten Mal noch schlimmer wird. Schon diese simple Erkenntnis führt dazu, dass Frauen sich entweder gar nicht wehren oder aber mit tödlicher Konsequenz. Denn jede weniger intensive Abwehrhandlung birgt die Gefahr, den körperlich überlegenen Mann zu noch intensiverer Gewalt zu reizen. Und wenn wegen des ausweglos erscheinenden Dilemmas der Angreifer zu Tode kommt, beginnt für die Frau, die sich gegen ihren Peiniger gestellt hat, ein neues Martyrium: das Strafverfahren.

Unsere Kollegen Dres. Gubitz und Buchholz verteidigen gerade in zwei Verfahren Frauen, die Ihren Peiniger getötet haben. Nun wird gegen sie wegen Totschlags an ihrem Ex-Partner ermittelt.

Beide Verfahren sind in jeder Hinsicht außergewöhnlich und auch psychologisch anspruchsvoll. Ebenso zentral wie besonders schwierig in derartigen Konstellationen ist beispielsweise die Entscheidung, ob sich zu den Vorwürfen geäußert wird oder nicht.

In der Regel gilt: Soll eine Verteidigung auf Notwehr gestützt werden, wird es sich empfehlen, dass sich der Mandant bzw. die Mandantin (oder die Verteidigung für sie) zu dem Geschehen äußert. „Im Zweifel für den Angeklagten“ bedeutet ja nicht, dass in allen Fällen, in denen die bloße Möglichkeit einer Notwehrsituation besteht, diese vom Gericht anzunehmen ist.

Das Vorbereiten einer Äußerung zur Sache stößt jedoch in den Fällen eines abgewendeten Femizids auf nahezu unüberbrückbare Probleme. Das schreckliche Tatgeschehen ist ein traumatisches Erlebnis, das tunlichst mit psychotherapeutischer Hilfe aufgearbeitet werden muss. Die Mandantinnen können nicht daneben den Sachverhalt auch noch mit den Anwälten besprechen und deren kritische Nachfragen beantworten. Auch die Konfrontation mit dem Akteninhalt, Tatortbildern, Zeugenaussagen, Verletzungsspuren ist kaum zu ertragen.

So haben im ersten ihrer beiden Fälle unsere Kollegen entschieden, schweigend, also ohne Äußerung der Mandantin zur Sache, zu verteidigen. Diese Entscheidung fällt natürlich etwas leichter, wenn die Ermittlungsakte bereits aussagekräftiges Material enthält, das ein Handeln in Notwehr nahelegt; so war es auch hier.

Rechtsanwalt Dr. Buchholz am Schreibtisch

Rechtsanwalt Dr. Momme Buchholz (Foto: Pepe Lange)

Dieses Notwehr-gegen-Femizid-Verfahren begann im Januar 2021. Unserer Mandantin wurden Messerstiche, die zum Tod ihres Peinigers führten, vorgeworfen. Sie hatte noch in der Tatnacht gegenüber Zeug:innen, Polizei- und Rettungskräften und später auch Ärzt:innen geäußert: „Ich habe es getan“, „was habe ich getan?“

In der Akte fanden sich zahlreiche Zeugenaussagen und weitere Beweismittel, die jahrelange physische und psychische Gewaltausübung des späteren Opfers gegen unsere Mandantin belegten. Außerdem fanden sich Schilderungen unserer Mandantin zur Vorgeschichte gegenüber verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor und nach der Tat. Hinzu kamen ihre spontanen Äußerungen zum eigentlichen Tatgeschehen und zu ihren Empfindungen danach gegenüber den Einsatzkräften, Zeug:innen und Ärzt:innen. Es ergab sich daraus das Bild eines lebensbedrohlichen Angriffs und einer Notwehrlage.

Für uns als Verteidiger bedurfte es damit keiner weiteren Beweismittel. Wegen der oben beschriebenen Gefahr der Retraumatisierung lehnten wir es daher auch ab, dass sich unsere Mandantin gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen zum Tatgeschehen äußert.

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat es dennoch für richtig gehalten, im Mai 2022 Anklage wegen Totschlags zu erheben. In der Anklage finden sich dann zwar auch die Schilderungen diverser Körperverletzungen des Mannes gegenüber unserer Mandantin vor der Tat und weiterer Misshandlungen. Was aber gänzlich fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr.

Wir haben dann hierzu noch einmal ausführlich Stellung genommen und die Nichtzulassung der Anklage beantragt. Das Gericht ist uns gefolgt und hat auf 32 Seiten dezidiert dargelegt, dass von einer Handlung in Notwehr auszugehen ist.

In der letzten Woche wurde diese Entscheidung nach Rücknahme des zunächst durch die Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels nun rechtskräftig. Unsere Mandantin ist unschuldig. Sie hat in Notwehr gehandelt.

Abschließend noch einige Worte zum Hintergrund: Der Begriff „Femizid“ wurde im Jahr 1976 von der Soziologin und Feministin Diane E.H. Russell beim „International Tribunal on Crimes against Women“ in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Unter den Begriff „Femizid“ fasst Russell insbesondere zwei Manifestationen von Frauentötungen: erstens „mysogynist killings“, d.h. Tötungen an Frauen aus Frauenhass und Verachtung, und zweitens Tötungen von Frauen, weil sie nicht den patriarchalen Rollenvorstellungen entsprechen und sich der männlichen Kontrolle und Dominanz entziehen. Dennoch werden Tötungen von Frauen gesellschaftlich und auch medial häufig als Einzelschicksale ohne strukturellen Hintergrund dargestellt. Nach solchen Taten wird oft von „Eifersuchtsdramen“ oder „Familientragödien“ gesprochen – ein Narrativ, das die strukturellen Machtverhältnisse, die hinter dieser Art von Tötungen stehen, aus dem Blick geraten lässt.

Für uns als Verteidiger ergibt sich auch in diesen Fällen: Im Strafverfahren ist alles zu spät. Eine wirksame Einflussnahme auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen kann hier nicht mehr stattfinden. Der Strafprozess kann nur noch eine angemessene Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten finden. In diesem Fall war es die Zurückweisung der Anklage. Die Ursachen müssen an anderer Stelle angegangen werden. Dafür lässt sich ein Zitat aus einem anderen Blog-Eintrag leicht abwandeln: Eine gute Gesellschaftspolitik ist die beste Kriminalpolitik.


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