Strafverfahren wegen des Vorwurfs einer Vergewaltigung (§ 177 StGB) stellen alle Verfahrensbeteiligten vor besondere Herausforderungen.

Hier soll einmal ein spezieller Problembereich aus dem Bereich des Sexualstrafrechts beleuchtet werden: Nicht selten ist zwischen der beschuldigten und der anzeigenden Person unstreitig, dass ein sexueller Kontakt stattgefunden hat – und für die Frage der Strafbarkeit ist „nur“ entscheidend, ob das Ganze einvernehmlich war oder nicht.

Es kann dann sein, dass die Bewertung eines sehr kurzen Abschnitts des Gesamtgeschehens über die Frage der Strafbarkeit entscheidet. In den meisten Fällen ist das einzige Beweismittel die Schilderung der anzeigenden Person. Bei diesen Angaben müssen sich wesentliche Dinge wie Tatort, Tatzeit, die allermeisten Umstände des was, wie, wie lange und wie oft, etc., aber nicht notwendigerweise unterscheiden in den Fällen des erzwungenen von denen des einvernehmlichen Geschehens. Die entsprechenden Schilderungen stehen dann für eine Untersuchung auf Widersprüchlichkeiten etc. nicht bzw. nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Und dem steht noch entweder das Schweigen (als sog. pauschales Bestreiten) des Angeklagten oder dessen Aussage gegenüber.

Man spricht hier (in beiden Fällen) von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehen dann besonders hohe Anforderungen an die Beweiswürdigung. Obwohl diese die „ureigene Aufgabe des Gerichts“ (BGH NStZ 2022, 372) ist, wird wegen der anspruchsvollen Materie nicht selten ein aussagepsychologisches Gutachten eingeholt. Zu klären ist nämlich etwa, ob der Inhalt der Aussage (z.B. Detailwissen, Widerspruchlosigkeit, Konstanz) Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Angaben wahr sind. Dabei spielt auch die Entstehungsgeschichte der Aussage (Suggestion, Scheinerinnerungen) eine Rolle sowie die Frage, ob ein potentielles Motiv für ein Falschbelastung in Betracht kommt.

Verteidiger Niklas Weber
Rechtsanwalt Niklas Weber (Foto: Pepe Lange)

Der Kollege Weber hat nun in einem solchen Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung vor dem Amtsgericht Rendsburg verteidigt. An diesem Fall lassen sich die oben noch abstrakt dargestellten Problembereiche exemplarisch aufzeigen:

Dem Mandanten wurde vorgeworfen, mit einer Frau Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, obwohl diese geäußert habe, dass sie das nicht wolle. Die Würdigung ihrer Angaben war insbesondere auch insofern problematisch, als die Vernehmungsbeamtin der Polizei die Zeugin im Ermittlungsverfahren bereits in höchst suggestivem Maße befragt hatte. Es galt also aufzuklären, ob die Zeugin tatsächlich Erlebtes darstellte oder nur der Suggestion folgte. Die Beamtin leitete die Vernehmung zur Sache nämlich damit ein, dass es heute um den Vorfall mit Herrn XY gehe und es da „Geschlechtsverkehr gegen Ihren Willen“ gegeben habe. Die Zeugin stimmte dem lediglich ohne weitere Schilderung des Geschehens zu, woraufhin die Beamtin sagte: „Also Sex gegen Ihren Willen“. Nach erneuter Zustimmung der Zeugin erklärte die Beamtin dann: „Das Ganze ist eine Straftat“. Erst danach wurde die Zeugin aufgefordert, von dem Vorfall zu berichten. Diese Schilderung blieb dann vergleichsweise detailarm.

Zu diesem Umstand, der eine Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage natürlich erschwert, trat dann vor Gericht noch ein weiterer entscheidender hinzu: In einem wesentlichen Teil des Kerngeschehens wich die Zeugin von ihren Schilderungen bei der Polizei ab. Dort hatte sie noch gesagt, dass es nach einer Unterbrechung ein zweites Mal zum Sex gekommen sei; in der Hauptverhandlung war davon indessen nicht mehr die Rede. Es ergab sich dann auch noch ein sehr nahe liegendes Motiv für eine Falschbelastung, das nicht ausgeschlossen werden konnte: Die Zeugin hatte Sorge, ihr Partner könne sie verlassen, wenn sie ihm berichten würde, dass sie fremdgegangen sei. Dieser hatte sie zur Rede gestellt, weil sie an dem betreffenden Abend eine so lange Zeit mit dem Angeklagten verbracht hatte. Damit war ein Schuldspruch nicht mehr zu begründen.

Danach folgte das Gericht unserem Antrag und damit auch den Argumenten, die wir weitgehend schon im Ermittlungs- und Zwischenverfahren in Verteidigungsschriften vorgebracht hatten, und hat den Mandanten freigesprochen. Auch die Staatsanwaltschaft hat Freispruch beantragt.

Hinter vielen angezeigten Sexualstraftaten steht ein schreckliches Geschehen, das aufzuklären und ggfs. zu bestrafen ist. Ebenfalls nicht wenigen derartigen Anzeigen liegen aber auch komplexe psycho-soziale Ausnahmesituationen zugrunde, deren Aufklärung dann ergibt, dass es eine Sexualstraftat nicht gegeben hat. Bei dieser Aufklärung nimmt qualifizierte Strafverteidigung eine zentrale Rolle ein.