Derzeit verteidigen unsere Kollegen Dres. Buchholz, Bauhofer und Weber in drei verschiedenen Verfahren vor der 1. Großen Strafkammer in Kiel. Auch ohne Nennung von Details, die angesichts unserer Schweigepflicht hier außen vor bleiben, lässt sich ganz allgemein an diesen Verfahren unser Alltag und unser handwerkliches Vorgehen darstellen:
In allen Verfahren haben die Mandanten auf den Rat unserer Kollegen hin jedenfalls zu Beginn geschwiegen, d.h., dass sie die Vorwürfe „pauschal bestreiten“. Ein solches Vorgehen hat in der Regel zwei Gründe. Wenn die Anklage die Vorwürfe nicht zutreffend abbildet und also wenigstens zum Teil ein Freispruch angestrebt wird, ist das Schweigen die erste Wahl für die Verteidigung. Nur in seltenen Ausnahmefällen raten wir einem bestreitenden Angeklagten zu einer Äußerung zur Sache. Wenn geschwiegen wird, wird zumeist vollständig geschwiegen, da nur ein vollständiges Schweigen nicht gegen die Angeklagten verwertet werden darf, aus einem Teilschweigen aber durchaus negative Wertungen abgeleitet werden können (natürlich ist das alles im Einzelnen kompliziert und es gibt Ausnahmen, die müssen aber hier nicht vertieft werden).
Foto: Pepe Lange
Also – drei streitige Verhandlungen:
Fall 1, Verteidiger Momme Buchholz: Hier geht es um Betrugstaten in Gestalt des sog. Polizistentricks, d.h., dass Personen (zumeist aus gut organisierten Call-Centern im Ausland) bei potentiellen Opfern anrufen und Geschichten erzählen, die diese letztlich dazu bringen, Geld oder andere Wertsachen an angebliche Polizisten zu übergeben. In diesen Fällen ist regelmäßig die Ausgangslage für die Verteidigung nicht rosig, mittlerweile ist die Polizei hier sehr gut aufgestellt. Wenn es zu Festnahmen kommt, scheint die Beweislage wasserdicht. Nicht selten gibt es abgehörte Telefonate oder sogar Observationen und Festnahmen auf frischer Tat. Jedenfalls gibt es fast immer Standortdaten der Handys. Hier liegt aber auch ein Problem: Erstens sind diese häufig nicht besonders genau (die Genauigkeit hängt von der Lage der Funkmasten ab) und nicht selten gibt es aber auch nur eine zufällige Übereinstimmung der Standortdaten des Handys mit dem Tatort. Außerdem geht es in der Verteidigung oft darum, aufzuzeigen, dass (wieder einmal) nur die kleinen Fische ins Netz gegangen sind, oder die Mandanten nicht an so vielen Fällen beteiligt waren wie behauptet. Und manchmal kann auch eine vollständige oder teilweise Schadenswiedergutmachung eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie darstellen. Kollege Buchholz sieht seinen Mandanten in 5 Fällen angeklagt, davon viermal in Vollendung und einmal im Versuch, Schaden ca. 300.000 EUR. Im Verlauf der Hauptverhandlung wurden die Vorwürfe teilweise eingeräumt und auch mit zwei Opfern Vergleiche geschlossen. Mittlerweile hat unser Kollege auch plädiert und erwartet das Urteil.
Fall 2, Verteidiger Stefan Bauhofer: Hier lautet der Vorwurf auf – teilweise versuchten – Wohnungseinbruchsdiebstahl. Nachdem sich das Verfahren zunächst noch auf insgesamt sieben Taten erstreckt hatte, erfolgten im Zuge des Vor- und Hauptverfahrens bisher Einstellungen für vier der verfolgten Taten. Vieles ist unklar. Z.B., ob Hebelspuren an einer Terrassentür tatsächlich von der angeklagten oder einer früheren Tat stammen, wie Gutachten zu Fußspuren und Fingerabdrücken zu bewerten sind – und forensisches Neuland wird im Bereich von DNA-Mischspuren-Gutachten anhand biostatistischer Modelle betreten. Weil es z.T. auch Zeugen gibt, kommt es zudem auf den Beweiswert des sog. wiederholten Wiedererkennens an. Hier haben die Strafverfolger nämlich den Fehler begangen, mit den Tatzeugen nicht eine sog. Wahllichtbildvorlage (von Bildern verschiedener Personen), sondern nur eine Einzellichtbildvorlage (des Verdächtigen und jetzigen Mandanten) durchgeführt zu haben. Das wird im weiteren Verlauf dann zum Problem, wenn etwa das Gericht den Zeugen in der Hauptverhandlung fragt: Erkennen Sie den Täter hier wieder? Wahrnehmungspsychologisch ist es nämlich ausgeschlossen, mit ausreichender Sicherheit auseinanderzuhalten, ob die Identifikation aufgrund der Lichtbildvorlage oder aufgrund der Erinnerung vom Tattag geschieht. Die entsprechende Frage in der Verhandlung ist dann fast ganz nutzlos und es ist fraglich, ob sie überhaupt zulässig ist. Hier kann die Hauptverhandlung aufgrund der schwierigen Beweissituation wohl noch etwas dauern.
Fall 3, Verteidiger Niklas Weber, Vorwurf des schweren Bandendiebstahls in insgesamt 14 Fällen. Kleintransporter wurden von Autohändlern entwendet und ins Ausland verbracht. Der Tatnachweis soll nach Auffassung der Anklage vor allem über Funkzellentreffer der den Angeklagten zugeordneten Mobiltelefone und der auf dieser Grundlage geschalteten Telekommunikationsüberwachung erfolgen. Nachdem am ersten Verhandlungstag bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft dem Gericht erst kurz zuvor umfangreiche neue Aktenbestandteile über Spuren- und Datenträgerauswertung übersandt hat, hat der Kollege Weber einen Aussetzungsantrag gestellt. Das hätte bedeutet, dass die Verhandlung abgebrochen wird und später, nach ausreichender Gelegenheit zur Einarbeitung in die Aktenbestandteile, von neuem begonnen wird. Das Gericht hat unter Aufhebung des folgenden Hauptverhandlungstags die Verhandlung nur unterbrochen, der Kollege muss sich nun in dieser Unterbrechung mit den neuen Informationen vertraut machen. Ein solches Vorgehen des Gerichts ist angreifbar, ob es auch revisibel ist, wird sich ggfs. zeigen. Den neuen Akten war zu entnehmen, dass wesentliche Ermittlungsergebnisse trotz bereits erfolgter Anklageerhebung knapp zwei Monate unbearbeitet bei der Polizei lagen, bevor sie an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurden. Daraus lässt sich ein Verstoß gegen den in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz ableiten. Unser Kollege hat daher beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Darüber hat nun das Oberlandesgericht zu entscheiden. In der Sache wird am nächsten Hauptverhandlungstermin voraussichtlich in Verständigungsgespräche eingetreten werden.