Der NDR hat (für diesen Beitrag) unserem Partner Gubitz Fragen zur Strafbarkeit der Klimaproteste gestellt. Nachstehend dokumentieren wir unseren Antworten mitsamt den Fragen. Anlass waren ein Antrag der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag mit dem Titel „Radikale Proteste helfen dem Klima nicht“ sowie die Alternativanträge von SPD „Kritik kann keine Rechtfertigung für Straftaten sein“ und CDU „Recht und Gesetz gilt auch in politisch aufgeheizten Auseinandersetzungen“.

Hier also Fragen und Antworten:

Frage: Die FDP fordert ein klares Parlamentsbekenntnis gegen „radikale Protestaktionen“ und fordert, die bestehenden Gesetze zur Ahndung von Beschädigungen oder Zerstörung konsequent anzuwenden. Wie werden Protestaktionen wie Straßenblockaden/Besetzen von Baggern oder Abseilaktionen von Autobahnbrücken in der Regel geahndet?

Antwort: Ich sehe nicht, dass Gesetze insoweit nicht angewendet werden. Straßenblockaden führen zu Strafverfahren wegen des Verdachts der Nötigung, das Besetzen von Baggern kann je nach Einzelfall ebenfalls eine Nötigung und/oder einen Hausfriedensbruch darstellen und Abseilaktionen von Autobahnbrücken neben der Nötigung auch einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Andere Aktionen werden wegen des Verdachts der Störung öffentlicher Betriebe und der Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt, was dann sogar zu zahlreichen Hausdurchsuchungen geführt hat. Die Justiz reagiert also.

Frage: Handelt es sich bei solchen Aktionen grundsätzlich um Straftaten – oder gibt es da einen Spielraum? Wie wird das unter Strafrechtlern diskutiert?

Antwort: Beim Hausfriedensbruch, dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigungen wird nicht viel diskutiert. Fernziele, mögen sie noch so ehrbar sein, werden hier nach der herrschenden Meinung nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Komplizierter ist es bei der Nötigung, weil dieser Tatbestand zum einen ausfüllungsbedürftige Merkmale (Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel) enthält. Zum anderen weist der Wortlaut des § 240 StGB, der Nötigung, noch ein weiteres ganz wesentliches Einfallstor für wertende Abwägungen auf. Die Tat ist nämlich nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als „verwerflich“ anzusehen ist. Die geforderte Mittel-Zweck-Relation und auch die Einschätzung als „verwerflich“ kann man natürlich unterschiedlich auslegen.

Der politische Meinungskampf ist durch Art. 5 und 8 des Grundgesetzes (GG) garantiert. In den Schutzbereich des Art. 8 GG fallen auch Straßenblockaden und ähnliche Aktionen. Deshalb kann die Behinderung von Autofahrern Grundrechtsausübung und damit gerechtfertigt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon verschiedentlich zu Demonstrationsgeschehen geäußert. Problematisch wird es nach dem Bundesverfassungsgericht erst dann, „wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt (…).“ Ersteres ist hier ja soweit bekannt, nicht der Fall.

Hinzu kommt, dass die Verkehrs-Blockaden in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen (Verkehrswende zur Erreichung von Klimazielen) und das Anliegen damit gerade auch die von der Demonstration betroffenen Autofahrer betrifft. Damit kann nach der Wackersdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Beeinträchtigung von Freiheitsrechten eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein. Der Zusammenhang zwischen den erhobenen Forderungen (Tempolimit und 9-Euro-Ticket) und der gewählten Protestform (Straßenblockade) liegt hier eben vor.

Wie sehr es auf den Einzelfall ankommt und welche Aspekte eine Rolle spielen, wird exemplarisch geradezu musterhaft deutlich an dem Freispruch durch eine Flensburger Richterin im Verfahren gegen einen Baumbesetzer. Das sorgfältig begründete Urteil ist im Internet unschwer auffindbar.

Frage: Wird beispielsweise ein Krankenwagen durch solche Blockaden aufgehalten, was würde das an der strafrechtlichen Bewertung ändern?

Antwort: Soweit mir bekannt ist, achten die Blockierer darauf, dass Rettungsfahrzeuge durchkommen würden. Wenn dies nicht geschieht, weil blockierte Autofahrer keine Rettungsgasse bilden, stellen sich, wiederum komplizierte, Zurechnungsfragen. Beispielsweise ist der Vorsatz, also die Inkaufnahme schwerwiegender Folgen für Dritte, zu prüfen. Viele, die nun Strafbarkeit von Blockierern wegen ausgebremster Rettungseinsätzen fordern, tun ihrer politischen Klientel keinen Gefallen, denn diese Forderung trifft dann Autofahrer und Blockierer gleichermaßen, mehr noch, die Annahme der Strafbarkeit ließe sich auf alle Kraftfahrzeugführer, die bei Staus auf Autobahnen keine Rettungsgasse bilden, übertragen.

Frage: Klimaaktivisten – wie auch die der Letzten Generation – berufen sich oft auf das Argument eines rechtfertigenden Notstands. Welche Rolle spielt das Argument bei der strafrechtlichen Bewertung solcher Fälle?

Antwort: Das wird, wie oben schon ausgeführt, bei den Tatbeständen der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruches und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr allenfalls in besonders gelagerten Konstellationen anzuerkennen sein, aber jedenfalls bei der Nötigung muss man sich mit den Argumenten intensiv auseinandersetzen.

Frage: Ihre Einschätzung zu diesem Thema und der Debatte insgesamt würde mich an dieser Stelle einmal interessieren: Muss eine Demokratie so etwas auch ein Stück weit aushalten? Und muss Protest nicht auch spürbar und unbequem sein, um überhaupt Wirkung zeigen zu können?

Antwort: Ja, das denke ich schon. Die Aktivisten verfolgen ja unstreitig Ziele, die nicht nur ehrenwert sind, sondern die eigentlich auch die Bundesregierung verpflichten. So hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht letztes Jahr im Mai deutliche Kritik an der Klimapolitik in Deutschland geübt und u.a. festgestellt: „Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“ Damit war auch gemeint, dass die Bundesregierung bislang nicht genug tut, um Leben und Gesundheit zu schützen. Dieses Versagen der Politik ist also gerichtlich festgestellt. Das sollte uns alle mehr empören als das Werfen von Nahrungsmitteln auf Gegenstände und das Sitzen auf Straßen. Ganz bewusst und ausdrücklich bleiben doch die Aktivisten hinter den blutigen Protestformen der 70er und 80er Jahre zurück. Sie verletzen keine Menschen, sondern sind nur lästig. Aber das sollte Protest ja wohl mindestens sein. Dabei stellen sich die Blockierer auch noch alle widerstandslos den gegen sie geführten Verfahren (übrigens auch ein Unterschied zu früheren Protestformen). Sie nehmen mit Bestrafungen und gegen sie gerichteten Schadensersatzforderungen härtere persönliche Konsequenzen in Kauf, als sie der Gesellschaft zumuten. Man muss das alles nicht gutheißen, aber man sollte es richtig einordnen. Es gibt drängendere Probleme. Die FDP, die den Antrag zur Debatte gestellt hat, stellt den Bundesverkehrsminister, der die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verkehrswende bewusst nicht umsetzt.
 
zur Strafbarkeit der Klima-Proteste

Foto: Pepe Lange