Verfahren gegen Polizeigewerkschafter: Über die Zulassung der Anklagen vom 26. August 2020 und 16. November 2020 hat das Landgericht Lübeck bislang noch nicht entschieden. Die Verteidigung hat in einem Schriftsatz vom 1. März 2021 an das Landgericht auf 16 Seiten dezidiert dargelegt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatverdacht nicht angenommen werden kann (unsere früheren Beiträge zum Thema finden Sie hier). Ausführlich und sachlich begründet wurde dabei auch durchgreifende Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft in den gegen Herrn Nommensen geführten Verfahren. Auch heute, mit einem zeitlichen Abstand von deutlich über zwei Jahren zum Beginn der Verfahren, wirkt der Vorgang wie eine Treibjagd auf einen in Ungnade gefallenen kritischen Polizeibeamten.

Der logistische, personelle und finanzielle Aufwand wäre selbst für Verfahren, in dem es um Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag oder um den organisierten Drogenhandel geht, ungewöhnlich groß. In diesem Verfahren, in denen angebliche Vergehen mit überschaubaren Strafdrohungen im Raum stehen, ist er aus rechtsstaatlicher Sicht vollkommen unverhältnismäßig. Es muss die Frage erlaubt sein, wieviel Aufklärung an anderer Stelle unterblieb, um diese Ressourcen bei der doch laut eigenen Angaben chronisch überlasteten und unterbesetzten sowie angeblich nicht ausreichend ausgestatteten Polizei  zu mobilisieren. Jedenfalls hätten derart exzessive IT-Recherchen auch sicher wertvolle Fortschritte in vielen anderen Verfahren (beispielsweise den zahllosen mit Internetbezug) erbringen können.

Neuigkeiten gibt es nun in einem parallel geführten (weiteren, dritten!) Verfahren gegen den Polizeigewerkschafter, das wiederum ein Schlaglicht auf das Vorgehen der Ermittlungsbehörden wirft. In diesem hat das Amtsgericht Kiel Herrn Nommensen nun vom Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Dass dieses, wie sich gezeigt hat: unbegründete, Verfahren neben den zwei o.g. Strafverfahren überhaupt vor das Gericht gebracht worden ist, ist auch für sich genommen ein erstaunlicher Vorgang: Gegenstand war der Vorwurf  der verbotenen Datenverarbeitung gemäß § 68 LDSG (eine Ordnungswidrigkeit vergleichbar damit, bei Rot über eine Ampel gefahren zu sein). Selbst wenn es – was ja nicht der Fall gewesen ist – im Gesamtkontext neben den angeblichen Straftaten auch noch zu diesem Verstoß gegen Ordnungsvorschriften gekommen sein sollte, würde normalerweise in 99 von 100 Fällen das Bußgeldverfahren im Hinblick auf die Strafvorwürfe gem. § 154 StPO eingestellt werden:

„Von den Möglichkeiten einer Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO soll der Staatsanwalt in weitem Umfang und in einem möglichst frühen Verfahrensstadium Gebrauch machen“,

so steht es in den Richtlinien für das Bußgeld- und Strafverfahren, die eigentlich jede:r Staatsanwalt:wältin zu beachten hat.

Dennoch wurde dieses Verfahren gerade nicht eingestellt, sondern an die Ordnungsbehörde, das Innenministerium, abgegeben. Auch hier hatte man offenbar ansonsten nicht genug zu tun. Trotz mehrfacher Intervention der Verteidigung, die auf das klare Vorliegen der Voraussetzungen einer Einstellung und vor allem auch auf das Fehlen eines Tatverdachts(!) hinwies, erging am 4. September 2020  ein Bußgeldbescheid über 500,- €; wohl bemerkt: in einem Tatkomplex, der doch schon zu zwei(!) Anklagen zum Landgericht(!) geführt hat.

Hier war also aus Sicht der Staatsanwaltschaft und des Ministeriums neben den aus den Verfahren am Landgericht von der Staatsanwaltschaft erwarteten Strafen noch ein Bußgeld erforderlich. Wie ist das zu interpretieren? Neben einer Freiheitsstrafe sollten unbedingt noch 500,- € gezahlt werden? Oder: Zu 60 oder 120 oder 240 Tagessätzen mussten noch 500,- € hinzukommen?

Oder wird aus einem solchen Vorgehen deutlich, dass die Staatsanwaltschaft selbst gar nicht an eine Bestrafung aus den Anklagen glaubte? Dass man dachte, bevor man am Ende mit leeren Händen dasteht, lieber noch versuchen, die Geldbuße von 500,- € durchzudrücken? Wer weiß…

Jetzt jedenfalls kam es anders. Das Amtsgericht Kiel hat dem Spuk mit seinem freisprechenden Beschluss ein Ende bereitet. Die Verteidigung hofft, dass dies nicht der letzte Dämpfer für die Jagd auf Herrn Nommensen bleibt.

Die Entscheidung des Amtsgerichts ist rechtskräftig.