Beweisanträge statt Plädoyers – Konfliktstrafverfolgung? Unter diesem Titel möchten wir aus aktuellem Anlass ein Lieblingsthema unseres Kollegen Gubitz aufgreifen. Dieser hat sich schon mehrfach in Fachpublikationen (so beispielsweise hier und hier) und im Rahmen von Stellungnahmen (siehe etwa hier, hier und hier) zu Gesetzesvorhaben kritisch mit dem Aktionismus der Legislative im Bereich des Strafrechts auseinandergesetzt. Hauptkritikpunkte waren, dass ohne ausreichende Evaluation eines tatsächlichen Bedarfs in ein funktionierendes System eingegriffen wurde und dass ganz überwiegend Beschuldigtenrechte massiv eingeschränkt wurden.

So wurde beispielsweise die Strafprozessordnung im Jahr 2017 geändert durch ein Gesetz mit dem wohlklingenden Titel „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“. Gedacht war es im Wesentlichen als Reaktion auf angeblich störendes Verteidigerverhalten im Rahmen einer oft so genannten Konfliktverteidigung. Die zahlreichen Änderungen hatten ganz überwiegend negative Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren, sie beinhalteten auch eine bis dahin gerade nicht vorgesehene Zeitgrenze für die Stellung von Beweisanträgen (zu finden in § 244 Abs. 6 S. 3 StPO). Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/11277, S. 34 f.):

„Damit sollen Verfahrensverzögerungen vermieden werden, die dadurch entstehen, dass der Angeklagte oder der Verteidiger erst nach Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms oder auch noch nach Schluss der Beweisaufnahme wiederholt neue Beweisanträge stellen, und diese dann im Laufe der Hauptverhandlung durch begründeten Beschluss beschieden werden müssen.“

und:

„Die vorgeschlagene Fristsetzung ermöglicht hingegen dem Gericht eine effiziente Verfahrensführung in den Fällen, in denen sich der Verdacht aufdrängt, dass Beweisanträge zu einem späten Verfahrenszeitpunkt mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung gestellt werden und diese Anträge aufgrund der erforderlichen Bescheidung durchbegründeten Beschluss das Verfahren lediglich verzögern ohne es weiter zu befördern.“

Diese Begründung entbehrte mit Blick auf die Verfahrensrealität in deutschen Strafprozessen schon im Jahr 2017 einer nachvollziehbaren Grundlage. Sie ist auch nach wie vor abzulehnen. Die Gesetzesänderungen  entsprachen einer Art Wunschzettel einer überschaubaren Zahl besonders verteidigungskritischer Richter:innen, die mit sog. Strafkammertagen  (zur Kritik an dem Gremium: hier) der von ihnen ausgemachten Konfliktverteidigung“ (vgl. S. 37 der Abschluss-Dokumentation des 2. Strafkammertages in Würzburg im Jahr 2017) Einhalt gebieten wollen.

All dies soll an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden. Wenn aber späte Beweisanträge ein Hinweis auf Konfliktverhalten sein sollten, dann gibt es auch Konfliktstrafverfolgung, wie aktuelle Erfahrungen aus unserem Strafverteidiger:innen-Alltag in zwei größeren Verfahren zeigen:

Sowohl im Prozess gegen einen Polizeigewerkschafter als auch im sog. Fielmann Verfahren stellten die jeweiligen Staatsanwälte umfangreiche Beweisanträge an dem eigentlich für die Plädoyers vorgesehenen Tag. Natürlich hatte und hat (das Fielmann-Verfahren läuft noch) dieses Vorgehen eine Verschiebung der Plädoyers und wochenlange Verzögerungen zur Folge. Im erstgenannten Verfahren wurden gleich 16 (!) Beweisanträge gestellt, im Fielmann-Verfahren ebenfalls mehrere, und diese mit langer Begründung. Und in dieser Sache ist ganz aktuell noch ein weiterer Beweisantrag auch für den Tag angekündigt worden, auf den die Plädoyers verschoben wurden. In diesem Antrag werden noch einmal 26 (!) weitere Zeugen benannt. Die Vernehmung all dieser Zeugen  würde den Abschluss der Hauptverhandlung voraussichtlich um weitere Monate verzögern.

Dieses Verhalten der Strafverfolger hat in beiden Verfahren für Kopfschütteln allerorten gesorgt. Aber es hat auch gezeigt: souveräne Strafkammern können mit solchen Anträgen umgehen, auch ohne auf die oben angesprochenen Gesetzesänderungen zurückgreifen zu müssen.

Welchen Schluss soll man hieraus ziehen?

Entweder: Die Gesetzesbegründung aus dem Jahr 2017 ist widerlegt, es kann sachlich-prozessual gerechtfertigte Gründe haben, spät Beweisanträge zu stellen?

Oder: Strafprozesse können auch durch Konfliktstaatsanwält:innen sabotiert werden (siehe zu einem besonderen Prozess auch hier)?

Antwort: Beide.