Revision beim OLG Schleswig erfolgreich


Eine von unserem Kollegen Dr. Molkentin ausgeführte Revision zum OLG Schleswig gegen ein Berufungsurteil des Landgerichts Kiel (mit einem Strafausspruch von zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe für eine gefährliche Körperverletzung) führte jetzt zur Aufhebung des Urteils per Beschluss. Damit war die Revision beim OLG Schleswig erfolgreich, nun muss eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Kiel erneut über die Berufung des Mandanten verhandeln.

Die Aufhebung und Zurückverweisung erfolgte unter ausdrücklicher Würdigung der mit der Revisionsbegründung vorgetragenen Bedenken. Das Urteil wurde bereits auf die Sachrüge hin aufgehoben, es litt, wie der Senat ausführt, unter „einem durchgreifenden Erörterungs- und Darstellungsmangel“. Aus den im Urteil wiedergegebenen Bekundungen des Angeklagten und mehrerer Zeug:innen ergab sich nämlich eine Tatprovokation im Vorfeld (die der Geschädigte sogar in einem früheren Prozess gestanden hatte). Mit der keineswegs fernliegenden Möglichkeit einer Rechtfertigung wegen Notwehr (bzw. zumindest einer Strafmilderung) setzten sich die Urteilsgründe aber nicht nachvollziehbar auseinander.

Unsere Revisionsbegründung hatte diesen Mangel, der sich durch weite Teile der Urteilgründe hindurchzog, von verschiedenen Seiten beleuchtet und auch zum Gegenstand mehrerer Verfahrensrügen (hier: sog. Inbegriffs- und Aufklärungsrügen) gemacht. Auf diese Weise konnte die Tragweite des Erörterungsmangels dann anhand zusätzlichen Verfahrensstoffs noch weiter verdeutlicht werden: So hätten die auch vom OLG bemängelten Lücken beispielsweise auch durch Verlesung vorliegender und in die Revisionsbegründung eingefügter Vernehmungsprotokolle  geschlossen werden können.

Obwohl es auf diese Rügen nicht mehr ankam, werden sie in dem Beschluss unter zwei Aspekten gestützt: Zum einen liege es nahe, dass auch die in zulässiger Form erhobene Aufklärungsrüge begründet gewesen ist (und insofern also auch die Beweisaufnahme selbst fehlerhaft war), zum anderen folgt der Senat auch den Bedenken hinsichtlich einer Urteilsbegründung, die über weite Strecken die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils im Wortlaut übernommen hatte (was die Eigenständigkeit der Entscheidungsfindung des Berufungsgerichts in Zweifel zieht).

Revision beim OLG Schleswig erfolgreich

Foto: Pepe Lange

Der Generalstaatsanwalt hatte, wie es mittlerweile gegenüber Revisionen der Verteidigung zu Obergerichten in Bund und Ländern nahezu flächendeckend (und allzu häufig auch erfolgreich) geschieht, die Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“ per (einstimmigem) Beschluss gefordert, der dann in aller Regel auch keinerlei weitere Begründung enthält.

Dieser verbreiteten Praxis war unser Kollege in seiner Gegenerklärung nachdrücklich entgegengetreten und hatte im Gegenzug die Aufhebung des Berufungsurteils im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung erbeten (was bei Einstimmigkeit ebenfalls möglich ist). Dem ist das Gericht nun gefolgt.


Verteidigung legt Revision gegen Stutthof-Urteil ein


Verteidigung legt Revision gegen Stutthof-Urteil des Landgerichts Itzehoe ein.

Heute hat die Verteidigung Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe im Stutthof-Prozess eingelegt. Die hierfür leitenden Erwägungen finden Sie in der unten zum Download bereitgestellten Medien-Information.

 

Foto des sogenannten Neuen Lagers vom Termin der Inaugescheinnahme
Foto „Neues Lager“

Über das Verfahren und die mehr als ein Jahr dauernde Hauptverhandlung haben wir wiederholt berichtet, zuletzt hier.  Die vom Landgericht Itzehoe zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilte Angeklagte wird von unseren Kollegen Wolf Molkentin und Niklas Weber verteidigt.

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Fragen zur Strafbarkeit der Klimaproteste


Der NDR hat (für diesen Beitrag) unserem Partner Gubitz Fragen zur Strafbarkeit der Klimaproteste gestellt. Nachstehend dokumentieren wir unseren Antworten mitsamt den Fragen. Anlass waren ein Antrag der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag mit dem Titel „Radikale Proteste helfen dem Klima nicht“ sowie die Alternativanträge von SPD „Kritik kann keine Rechtfertigung für Straftaten sein“ und CDU „Recht und Gesetz gilt auch in politisch aufgeheizten Auseinandersetzungen“.

Hier also Fragen und Antworten:

Frage: Die FDP fordert ein klares Parlamentsbekenntnis gegen „radikale Protestaktionen“ und fordert, die bestehenden Gesetze zur Ahndung von Beschädigungen oder Zerstörung konsequent anzuwenden. Wie werden Protestaktionen wie Straßenblockaden/Besetzen von Baggern oder Abseilaktionen von Autobahnbrücken in der Regel geahndet?

Antwort: Ich sehe nicht, dass Gesetze insoweit nicht angewendet werden. Straßenblockaden führen zu Strafverfahren wegen des Verdachts der Nötigung, das Besetzen von Baggern kann je nach Einzelfall ebenfalls eine Nötigung und/oder einen Hausfriedensbruch darstellen und Abseilaktionen von Autobahnbrücken neben der Nötigung auch einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Andere Aktionen werden wegen des Verdachts der Störung öffentlicher Betriebe und der Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt, was dann sogar zu zahlreichen Hausdurchsuchungen geführt hat. Die Justiz reagiert also.

Frage: Handelt es sich bei solchen Aktionen grundsätzlich um Straftaten – oder gibt es da einen Spielraum? Wie wird das unter Strafrechtlern diskutiert?

Antwort: Beim Hausfriedensbruch, dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigungen wird nicht viel diskutiert. Fernziele, mögen sie noch so ehrbar sein, werden hier nach der herrschenden Meinung nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Komplizierter ist es bei der Nötigung, weil dieser Tatbestand zum einen ausfüllungsbedürftige Merkmale (Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel) enthält. Zum anderen weist der Wortlaut des § 240 StGB, der Nötigung, noch ein weiteres ganz wesentliches Einfallstor für wertende Abwägungen auf. Die Tat ist nämlich nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als „verwerflich“ anzusehen ist. Die geforderte Mittel-Zweck-Relation und auch die Einschätzung als „verwerflich“ kann man natürlich unterschiedlich auslegen.

Der politische Meinungskampf ist durch Art. 5 und 8 des Grundgesetzes (GG) garantiert. In den Schutzbereich des Art. 8 GG fallen auch Straßenblockaden und ähnliche Aktionen. Deshalb kann die Behinderung von Autofahrern Grundrechtsausübung und damit gerechtfertigt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon verschiedentlich zu Demonstrationsgeschehen geäußert. Problematisch wird es nach dem Bundesverfassungsgericht erst dann, „wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt (…).“ Ersteres ist hier ja soweit bekannt, nicht der Fall.

Hinzu kommt, dass die Verkehrs-Blockaden in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen (Verkehrswende zur Erreichung von Klimazielen) und das Anliegen damit gerade auch die von der Demonstration betroffenen Autofahrer betrifft. Damit kann nach der Wackersdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Beeinträchtigung von Freiheitsrechten eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein. Der Zusammenhang zwischen den erhobenen Forderungen (Tempolimit und 9-Euro-Ticket) und der gewählten Protestform (Straßenblockade) liegt hier eben vor.

Wie sehr es auf den Einzelfall ankommt und welche Aspekte eine Rolle spielen, wird exemplarisch geradezu musterhaft deutlich an dem Freispruch durch eine Flensburger Richterin im Verfahren gegen einen Baumbesetzer. Das sorgfältig begründete Urteil ist im Internet unschwer auffindbar.

Frage: Wird beispielsweise ein Krankenwagen durch solche Blockaden aufgehalten, was würde das an der strafrechtlichen Bewertung ändern?

Antwort: Soweit mir bekannt ist, achten die Blockierer darauf, dass Rettungsfahrzeuge durchkommen würden. Wenn dies nicht geschieht, weil blockierte Autofahrer keine Rettungsgasse bilden, stellen sich, wiederum komplizierte, Zurechnungsfragen. Beispielsweise ist der Vorsatz, also die Inkaufnahme schwerwiegender Folgen für Dritte, zu prüfen. Viele, die nun Strafbarkeit von Blockierern wegen ausgebremster Rettungseinsätzen fordern, tun ihrer politischen Klientel keinen Gefallen, denn diese Forderung trifft dann Autofahrer und Blockierer gleichermaßen, mehr noch, die Annahme der Strafbarkeit ließe sich auf alle Kraftfahrzeugführer, die bei Staus auf Autobahnen keine Rettungsgasse bilden, übertragen.

Frage: Klimaaktivisten – wie auch die der Letzten Generation – berufen sich oft auf das Argument eines rechtfertigenden Notstands. Welche Rolle spielt das Argument bei der strafrechtlichen Bewertung solcher Fälle?

Antwort: Das wird, wie oben schon ausgeführt, bei den Tatbeständen der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruches und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr allenfalls in besonders gelagerten Konstellationen anzuerkennen sein, aber jedenfalls bei der Nötigung muss man sich mit den Argumenten intensiv auseinandersetzen.

Frage: Ihre Einschätzung zu diesem Thema und der Debatte insgesamt würde mich an dieser Stelle einmal interessieren: Muss eine Demokratie so etwas auch ein Stück weit aushalten? Und muss Protest nicht auch spürbar und unbequem sein, um überhaupt Wirkung zeigen zu können?

Antwort: Ja, das denke ich schon. Die Aktivisten verfolgen ja unstreitig Ziele, die nicht nur ehrenwert sind, sondern die eigentlich auch die Bundesregierung verpflichten. So hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht letztes Jahr im Mai deutliche Kritik an der Klimapolitik in Deutschland geübt und u.a. festgestellt: „Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“ Damit war auch gemeint, dass die Bundesregierung bislang nicht genug tut, um Leben und Gesundheit zu schützen. Dieses Versagen der Politik ist also gerichtlich festgestellt. Das sollte uns alle mehr empören als das Werfen von Nahrungsmitteln auf Gegenstände und das Sitzen auf Straßen. Ganz bewusst und ausdrücklich bleiben doch die Aktivisten hinter den blutigen Protestformen der 70er und 80er Jahre zurück. Sie verletzen keine Menschen, sondern sind nur lästig. Aber das sollte Protest ja wohl mindestens sein. Dabei stellen sich die Blockierer auch noch alle widerstandslos den gegen sie geführten Verfahren (übrigens auch ein Unterschied zu früheren Protestformen). Sie nehmen mit Bestrafungen und gegen sie gerichteten Schadensersatzforderungen härtere persönliche Konsequenzen in Kauf, als sie der Gesellschaft zumuten. Man muss das alles nicht gutheißen, aber man sollte es richtig einordnen. Es gibt drängendere Probleme. Die FDP, die den Antrag zur Debatte gestellt hat, stellt den Bundesverkehrsminister, der die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verkehrswende bewusst nicht umsetzt.
 
zur Strafbarkeit der Klima-Proteste

Foto: Pepe Lange


Itzehoer Stutthof-Prozess – Verteidigung fordert Freispruch


Die Verteidigung hat am heutigen Hauptverhandlungstag im Itzehoer Stutthof-Prozess plädiert und für die von den Kollegen Dr. Wolf Molkentin und Niklas Weber verteidigte Angeklagte Freispruch beantragt, weil der im Hinblick auf die ihr unter dem Aspekt der Beihilfe vorgeworfenen Mordtaten erforderliche Vorsatz nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte.

Das Plädoyer der Verteidigung finden Sie hier.

Blick aus einem Fenster der Kommandantur Blick aus dem mutmaßlichen Geschäftszimmer

Der Prozess soll am 20. Dezember 2022 mit der Urteilsverkündung fortgesetzt werden.

Über das Verfahren und die dortige Verteidigung hatten wir bereits wiederholt berichtet, zuletzt hier (dort finden Sie auch Verweise auf weitere frühere Einträge).


Ablehnungsgesuch gegen Sachverständigen im Stutthof-Prozess


Im Prozess vor dem Landgericht Itzehoe gegen eine vormalige Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof hat die Verteidigung am heutigen Hauptverhandlungstag (21. November 2022) ein Ablehnungsgesuch gegen den historischen Sachverständigen verlesen.

In diesem möglicherweise letzten Prozess zur strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen verteidigt unser Partner Wolf Molkentin gemeinsam mit dem Kollegen Niklas Weber (einen früheren Beitrag mit Verweisen auf weitere Blogbeiträge finden Sie hier). Nach einer mehr als einjährigen Beweisaufnahme, zuletzt durch Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten durch einen Teil der Kammer, nähert sich das Verfahren nun seinem Abschluss.

Aus Sicht des Gerichts steht nur noch die Entscheidung über das heute gestellte Ablehnungsgesuch gegen den historischen Sachverständigen aus, dann sollen die Plädoyers beginnen (zunächst durch die Staatsanwaltschaft, dann die Nebenklägerverteter:innen und abschließend die Verteidigung).

Das heute angebrachte Ablehnungsgesuch stützt sich darauf, dass die Angeklagte befürchtet und auch befürchten darf, dass der Sachverständige seinem Auftrag nicht mit der von ihm geforderten Unbefangenheit und Unparteilichkeit nachgegangen ist. In der vergangenen Woche hatte der Vorsitzende die Verlesung eines hierfür aussagekräftigen Telefonvermerks abgelehnt und auf die Möglichkeit der Anbringung eines Ablehnungsgesuchs verwiesen.

Der Sachverständige hatte über eine Vielzahl von Hauptverhandlungstagen, an denen er sein Gutachten erstattet hatte, einen aus Sicht der Verteidigung nicht angemessenen Verfolgungseifer an den Tag gelegt, indem er etwa aus seiner Sicht Belastendes hervorgehoben, Entlastendes aber übergangen hatte. Am Ende seiner Vernehmung hatte er nicht erklären können oder wollen, wie er bei der Auswertung der äußerst umfangreichen Akte vorgegangen war.

Das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen knüpft allerdings an einen früheren Zeitpunkt an, der sich unmittelbar aus den Akten ergibt: Der Sachverständige war von der Staatsanwaltschaft damit beauftragt worden, noch bestehende Lücken in der Beweisführung zu schließen, und hatte dazu weitreichende Aussagen gemacht. Dennoch erfolgte die Anklageerhebung, bevor er sein schriftliches Vorab-Gutachten fertiggestellt hatte, unter Bezugnahme auf die telefonischen Ankündigungen.

In der Hauptverhandlung hat der Sachverständige diese Ankündigungen in weiten Teilen nicht einlösen können und ist offenbar bemüht gewesen, dafür Ersatz zu finden, statt seine begrenzten Recherche-Ergebnisse bezüglich einer persönlichen Verantwortung der Angeklagten offen und differenziert als solche zu präsentieren.

Das Ablehnungsgesuch in anonymisierter Form finden Sie hier.

Update 22. November 2022: Das Gericht hat das Ablehnungsgesuch bereits am Folgetag zurückgewiesen, ohne zuvor wie beantragt die Erklärung des Sachverständigen einzuholen. Einen Rechtsbehelf dagegen hat die Verteidigung nicht. Sollte es zu einem Revisionsverfahren kommen, würde der BGH auch überprüfen müssen, ob die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs zu recht erfolgt ist.

 

"Ablehnungsgesuch Inaugenscheinnahme 4. November 2022


Freispruch für Ratzeburgs Ex-Bürgermeister Gunnar Koech


Das Amtsgericht Lübeck hat Ratzeburgs Ex-Bürgermeister Gunnar Koech nach zweitägiger Hauptverhandlung freigesprochen.

Dieser war im Sommer 2021 von der Staatsanwaltschaft Lübeck wegen zweier Vorwürfe angeklagt worden. Er sollte eine Falsche Versicherung an Eides statt abgegeben und eine Falsche Verdächtigung begangen haben (warum wir als Verteidiger:innen mit derartigen Stellungnahmen in wenigen Einzelfällen an die Öffentlichkeit gehen, und dass in der ganz überwiegenden Anzahl unserer Mandate Diskretion oberstes Gebot ist, erklären wir hier).

Über diese Vorwürfe wurde nun am Amtsgericht Lübeck verhandelt. Dieses hatte schon die Anklage zunächst nicht zugelassen, weil es durchgreifende Zweifel an den von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweisen hatte. Das Landgericht hatte dann die Entscheidung mit wenig überzeugender Begründung aufgehoben und das Hauptverfahren eröffnet. So wurden nun die von der Staatsanwaltschaft benannten Zeugen gehört.

Die Anschuldigungen gingen auf öffentliche Äußerungen im Rahmen der Stichwahl um das Bürgermeisteramt der Stadt Ratzeburg im Frühjahr 2019 zurück. Der „Lübecker Printmedien-Unternehmer Sch.“ hatte in Ratzeburg unter dem Datum „30/31.03.2019“ eine vierseitige Veröffentlichung mit dem Titel „Stadtgespräch Stichwahl am 31.03.2019“ verteilt. Neben persönlichen Beleidigungen des Kandidaten Koech wurde auch verbreitet, dieser habe (bereits verjährte) Straftaten begangen. Diese Angriffe auf seine Person konnten von Herrn Koech nicht toleriert werden. Nachdem er die Stichwahl trotz allem gewonnen hatte, hat er mit seinem Möllner Anwalt Dr. Uwe-Christian Klipsch L.L.M. eine einstweilige Verfügung gegen Herrn Sch. und dessen Behauptungen erwirkt. Gunnar Koech ist dabei mit seiner eidesstattlichen Versicherung der Behauptung einer Beteiligung an Straftaten entgegengetreten. Herrn Sch. wurde vom Landgericht Lübeck unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, seine Behauptungen zu wiederholen.

In der Folge kam es auch zu wechselseitigen Strafanzeigen, die auf der geltend gemachten Unwahrheit der aufgestellten Behauptungen beruhten.

Die Darstellung des schmalen Grats zwischen (gerade auch in der politischen Auseinandersetzung) noch zulässiger Meinungsäußerung und strafbarer Übler Nachrede, Beleidigung und Verleumdung würde an dieser Stelle ebenso zu weit führen wie die weitere Nachzeichnung des Sachverhalts in seinen zahlreichen, teils sehr umstrittenen, Einzelheiten. Es kann allgemein Folgendes gesagt werden: Das Strafrecht stellt die ultima ratio dar. Es kommt (erst dann) zum Einsatz, wenn erhebliche Beeinträchtigungen besonders schützenswerter Rechtsgüter in Rede stehen. Die rechtstaatlichen Anforderungen an ein Strafverfahren und die dortigen Maßstäbe sind normiert und eigentlich auch für juristische Laien, die die entsprechende Geduld aufbringen, nachlesbar. Wenig geeignet ist es für die öffentliche, mediale Auseinandersetzung. Das liegt an den notwendigerweise damit verbundenen Vereinfachungen. Selten werden alle wesentlichen Aspekte in der Berichterstattung über ein Verfahren dargestellt oder gar der Ausgang eines Verfahrens abgewartet. So kommt es, dass schon aus der Tatsache, dass „ein Verfahren eingeleitet“ oder eine „Anklage erhoben“ ist, (politisches) Kapital geschlagen werden soll. Dabei setzt die Einleitung eines Verfahrens nur einen sogenannten Anfangsverdacht voraus und für die Anklageerhebung kann es ausreichen, wenn unterschiedliche Aussagen vorliegen und die Anklagebehörde es dem Gericht überlassen will, diese zu würdigen.

Im vorliegenden Fall hätten aus Sicht der Verteidigung sehr gute Gründe schon dafür gesprochen, das Verfahren gegen Gunnar Koech einzustellen und von der Anklage abzusehen. Da die Staatsanwaltschaft anders entschied, wurde unser Kollege Prof. Dr. Gubitz mit der Verteidigung beauftragt. Er hat dann mit seinem Kollegen Dr. Molkentin im sogenannten Zwischenverfahren auf 18 Seiten ausführlich dargelegt, warum schon nach dem Ergebnis der Ermittlungen und dem Inhalt der zahlreichen Aussagen (zu zum Teil Jahre zurückliegenden Sachverhalten) ein Tatverdacht gegen Ratzeburgs Ex-Bürgermeister Gunnar Koech nicht vorlag. Die Vorwürfe beruhten auf Aussagen von Zeugen, die entweder schon in sich widersprüchlich waren und auch durch die Angaben weiterer Zeugen widerlegt wurden oder bei denen andere wesentliche Kriterien für die Annahme der Glaubhaftigkeit nicht erfüllt waren. So hatte Herr Sch. seinen öffentlichen Äußerungen Behauptungen aus zweifelhaften Quellen, u.a. dem Drogenmilieu, zugrunde gelegt. Auf die „Belastungstendenz“ mindestens zweier Zeugen wies das Gericht in seinem Beschluss ausdrücklich hin. Sie führten „Rechtsstreitigkeiten“ mit Gunnar Koech.

Die politische Einordnung des Vorgangs wird Gunnar Koech selbst vornehmen. In der Folge des Strafverfahrens kam es zu seiner Abwahl. Es ist nicht das erste Verfahren der Kanzlei Gubitz und Partner, in dem in der Öffentlichkeit stehenden Mandant:innen ein Strafverfahren einen Schaden zufügt, der auch durch den jetzigen positiven Ausgang nicht wiedergutzumachen ist.

 


Strategien und Probleme der Strafzumessungsverteidigung


„Strategien und Probleme der Strafzumessungsverteidigung“ – so lautete der Titel eines Vortrags, den unser Kollege Gubitz auf dem Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV gehalten hat. Das Herbstkolloquium, das wie jedes Jahr im November abgehalten wurde, fand am 11. und 12. 11. 2022 in Köln statt und wurde auf der Seite des DAV damit beworben, dass es „als bundesweite Fortbildungsveranstaltung hochqualifizierte Beiträge und Informationen zu ausgewählten Themen“ bietet.

Kollege Gubitz hat versucht, aufzuzeigen, dass die Abgrenzung zwischen Freispruch- und Strafzumessungsverteidigung nur von begrenztem Wert ist. Wenn man sie aber vereinfachend vornimmt, ergibt sich ein Bild von Strafverteidigung, das nicht unbedingt mit landläufigen Überzeugungen übereinstimmt. Die Regel der anwaltlichen Tätigkeit in der Strafverteidigung ist nämlich nicht die spektakuläre Freispruchverteidigung, sondern eher das Bemühen um eine nicht zu harte Strafe oder andere Rechtsfolge. Auch das kann zunächst streitig und kampfbereit geschehen.

Vortrag in Köln Foto Andreas Burkhardt

So bedeutet Strafzumessungsverteidigung, aktiv auf die Vorstellungen der Strafverfolgungsbehörden und/oder des Gerichts vom angemessenen Ausgang des Verfahrens einzuwirken.

Vortrag in Köln Foto Andreas Burkhardt

 Die Folien der Präsentation finden Sie hier.

 

Herbstkolloquium Köln Foto Andreas Burkhardt


Digitalisierung – Rekonstruktion – Zugang zur Verteidigung

Eine Konferenz der Bundesrechtsanwaltskammer und des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht der Leibniz Universität Hannover

Digitalisierung – Rekonstruktion – Zugang zur Verteidigung: Unter dieser Überschrift fand die diesjährige Konferenz des Forums „Anwaltschaft im Blick der Wissenschaft“ am 11. November in Hannover statt. Es handelte sich um eine gemeinsame Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht der Leibniz Universität Hannover.
 

Vortrag HannoverFoto Janto Trappe

Unser Kollege Gubitz hat zum Thema „Pflichtverteidiger-Bestellung in Deutschland“ referiert. Dabei hat er die Umsetzung der Legal Aid Richtlinie der Europäischen Union kurz dargestellt und insbesondere vier aus seiner Sicht problematische Punkte angesprochen. Im Ergebnis teilt unser Kollege die Kritik an der Neuregelung in der StPO.
 

Konferenz Hannover Foto Janto Trappe

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Beweisanträge statt Plädoyers – Konfliktstrafverfolgung?


Beweisanträge statt Plädoyers – Konfliktstrafverfolgung? Unter diesem Titel möchten wir aus aktuellem Anlass ein Lieblingsthema unseres Kollegen Gubitz aufgreifen. Dieser hat sich schon mehrfach in Fachpublikationen (so beispielsweise hier und hier) und im Rahmen von Stellungnahmen (siehe etwa hier, hier und hier) zu Gesetzesvorhaben kritisch mit dem Aktionismus der Legislative im Bereich des Strafrechts auseinandergesetzt. Hauptkritikpunkte waren, dass ohne ausreichende Evaluation eines tatsächlichen Bedarfs in ein funktionierendes System eingegriffen wurde und dass ganz überwiegend Beschuldigtenrechte massiv eingeschränkt wurden.

So wurde beispielsweise die Strafprozessordnung im Jahr 2017 geändert durch ein Gesetz mit dem wohlklingenden Titel „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“. Gedacht war es im Wesentlichen als Reaktion auf angeblich störendes Verteidigerverhalten im Rahmen einer oft so genannten Konfliktverteidigung. Die zahlreichen Änderungen hatten ganz überwiegend negative Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren, sie beinhalteten auch eine bis dahin gerade nicht vorgesehene Zeitgrenze für die Stellung von Beweisanträgen (zu finden in § 244 Abs. 6 S. 3 StPO). Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/11277, S. 34 f.):

„Damit sollen Verfahrensverzögerungen vermieden werden, die dadurch entstehen, dass der Angeklagte oder der Verteidiger erst nach Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms oder auch noch nach Schluss der Beweisaufnahme wiederholt neue Beweisanträge stellen, und diese dann im Laufe der Hauptverhandlung durch begründeten Beschluss beschieden werden müssen.“

und:

„Die vorgeschlagene Fristsetzung ermöglicht hingegen dem Gericht eine effiziente Verfahrensführung in den Fällen, in denen sich der Verdacht aufdrängt, dass Beweisanträge zu einem späten Verfahrenszeitpunkt mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung gestellt werden und diese Anträge aufgrund der erforderlichen Bescheidung durchbegründeten Beschluss das Verfahren lediglich verzögern ohne es weiter zu befördern.“

Diese Begründung entbehrte mit Blick auf die Verfahrensrealität in deutschen Strafprozessen schon im Jahr 2017 einer nachvollziehbaren Grundlage. Sie ist auch nach wie vor abzulehnen. Die Gesetzesänderungen  entsprachen einer Art Wunschzettel einer überschaubaren Zahl besonders verteidigungskritischer Richter:innen, die mit sog. Strafkammertagen  (zur Kritik an dem Gremium: hier) der von ihnen ausgemachten Konfliktverteidigung“ (vgl. S. 37 der Abschluss-Dokumentation des 2. Strafkammertages in Würzburg im Jahr 2017) Einhalt gebieten wollen.

All dies soll an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden. Wenn aber späte Beweisanträge ein Hinweis auf Konfliktverhalten sein sollten, dann gibt es auch Konfliktstrafverfolgung, wie aktuelle Erfahrungen aus unserem Strafverteidiger:innen-Alltag in zwei größeren Verfahren zeigen:

Sowohl im Prozess gegen einen Polizeigewerkschafter als auch im sog. Fielmann Verfahren stellten die jeweiligen Staatsanwälte umfangreiche Beweisanträge an dem eigentlich für die Plädoyers vorgesehenen Tag. Natürlich hatte und hat (das Fielmann-Verfahren läuft noch) dieses Vorgehen eine Verschiebung der Plädoyers und wochenlange Verzögerungen zur Folge. Im erstgenannten Verfahren wurden gleich 16 (!) Beweisanträge gestellt, im Fielmann-Verfahren ebenfalls mehrere, und diese mit langer Begründung. Und in dieser Sache ist ganz aktuell noch ein weiterer Beweisantrag auch für den Tag angekündigt worden, auf den die Plädoyers verschoben wurden. In diesem Antrag werden noch einmal 26 (!) weitere Zeugen benannt. Die Vernehmung all dieser Zeugen  würde den Abschluss der Hauptverhandlung voraussichtlich um weitere Monate verzögern.

Dieses Verhalten der Strafverfolger hat in beiden Verfahren für Kopfschütteln allerorten gesorgt. Aber es hat auch gezeigt: souveräne Strafkammern können mit solchen Anträgen umgehen, auch ohne auf die oben angesprochenen Gesetzesänderungen zurückgreifen zu müssen.

Welchen Schluss soll man hieraus ziehen?

Entweder: Die Gesetzesbegründung aus dem Jahr 2017 ist widerlegt, es kann sachlich-prozessual gerechtfertigte Gründe haben, spät Beweisanträge zu stellen?

Oder: Strafprozesse können auch durch Konfliktstaatsanwält:innen sabotiert werden (siehe zu einem besonderen Prozess auch hier)?

Antwort: Beide.