Vorwurf: Unerlaubte Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353d StGB. Eine Norm, zu der viel zu sagen ist, aber zur rechtlichen Bewertung weiter unten mehr.

Noch interessanter ist der Sachverhalt, der unmittelbar vor der letzten Bundestagswahl spielt und der auch Gegenstand bundesweiter Berichterstattung wurde. So berichtete etwa der Spiegel über das Ausgangsverfahren gegen den heutigen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Zugetragen hatte sich Folgendes: Im sog. Triell der Kanzlerkandidatin Baerbock und Kandidaten Scholz und Laschet versuchte Letzterer, ein unmittelbar zuvor bekannt gewordenes Ermittlungsverfahren zum Angriff gegen Scholz zu nutzen. Er stützte sich dabei auf eine aktuelle Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Osnabrück. In dieser war von einer „Durchsuchung“ im Bundesfinanzministerium die Rede. Außerdem hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sich diese Durchsuchung auch gegen „die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen“ richtete. Bekanntermaßen hieß der zuständige Minister Olaf Scholz. Im politisch aufgeheizten Klima vor der letzten Wahl wurde das so verstanden, dass auch gegen Scholz ein Verdacht bestand.

Allerdings litt die Presserklärung der Staatsanwaltschaft Osnabrück an zwei ganz erstaunlichen Mängeln. Erstes kam es gar nicht zur Durchsuchung, weil die entsprechenden Unterlagen freiwillig herausgegeben wurden, und zweitens war im Durchsuchungsbeschluss keineswegs von Leitungspersonen, sondern nur von „Mitarbeitern“ (auch nur einer bestimmten Abteilung) die Rede!

So stellte das VG Osnabrück mit Beschluss vom 8. Juni 2022 dann auch fest, dass die Äußerung der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 9. September 2021 mit dem Wortlaut, „Ziel der heutigen Durchsuchungen ist es, den Straftatverdacht und insbesondere individuelle Verantwortlichkeiten weiter aufzuklären. Es soll unter anderem untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren“, rechtswidrig war. Weiter wurde der Staatsanwaltschaft Osnabrück untersagt, im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren die folgende Behauptung zu verbreiten: „So groß ist unser Vertrauen nicht, dass wir glauben, sie würden uns alles freiwillig herausgeben“.

Wolfgang Schmidt war damals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ärgerte sich über das aus seiner Sicht politisch motivierte Vorgehen der (von einem CDU-Mitglied geleiteten) Staatsanwaltschaft Osnabrück. Er twitterte am Tag nach dem Triell, es sei durch die Presseerklärung ein „falscher Eindruck“ entstanden und die Öffentlichkeit solle sich „selber ein Bild von den Fakten machen“. Um dieses zu ermöglichen, zitierte er aus dem Durchsuchungsbeschluss. Mit den Zitaten sollte den Behauptungen der Staatsanwaltschaft inhaltlich entgegengetreten werden.

Unser Mandant hat, wie 190 weitere Twitter-User:innen, den entsprechenden Tweet geteilt. Sowohl gegen Wolfgang Schmidt als auch gegen unseren Mandanten und die 190 weiteren Personen wurden Strafverfahren eingeleitet, denn:

Der oben schon erwähnte § 353d StGB bestimmt in seiner Nr. 3, dass es verboten sei, „die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens (…) ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich“ mitzuteilen, „bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.“

Die Norm ist umstritten. Teilweise wird die Abschaffung gefordert (Eisele ZRP 2014, 106, Schomburg ZRP 1982, 142), und im Jahre 1983 wurde vom Amtsgericht Hamburg die Verfassungsmäßigkeit in Frage gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Norm untersucht und durchaus Schwachstellen aufgezeigt, aber auch die Grenzen seiner Prüfungskompetenz betont: „Unter dem Gesichtspunkt der Zwecktauglichkeit müßte sich hiernach klar erweisen lassen, daß § 353d Nr. 3 StGB (…)  zum Schutz der Rechtsgüter, dem sie dienen, schlechthin ungeeignet“ ist. Das soll hier (gerade noch?) nicht der Fall sein.

Die oben dargestellten Verfahren zeigen aber geradezu bilderbuchmäßig den einen entscheidenden Kritikpunkt an der Norm auf: Es kommt nicht selten vor, dass durch Strafverfolger in Presseerklärungen ein falsches Bild erweckt und eine Vorverurteilung befördert wird. Nach unserer Erfahrung treffen Strafverfahren wegen § 353d StGB oftmals Personen, z.B. Strafverteidiger:innen oder auch andere Interessierte, die diesen falschen öffentlichen Eindruck über ein Strafverfahren korrigieren möchten (siehe etwa auch den Hinweis auf der Seite des geschätzten Hamburger Kollegen Dr. Gerhard Strate zum Fall Mollath). Regelmäßig kommt diesen Verlautbarungen von privater Seite aber nicht dieselbe Autorität und Richtigkeitsvermutung wie denen öffentlicher Stellen zu. Dieses strukturelle Ungleichgewicht kann überwunden werden durch nachweisliche Fakten. Solche enthält die Akte. Leider wird die Veröffentlichung vor der Hauptverhandlung nahezu umstandslos durch § 353d StGB verboten. Die Frage ist nun, ob dies auch in Fällen der Gegenwehr gegen rechtswidrige Presseverlautbarungen der Staatsanwaltschaft gelten kann?

KN vom 28.7.2023 

Nein, da muss es Ausnahmen geben. Die mit der Verteidigung beauftragten Kollegen Drs. Buchholz und Gubitz hatten in unserem Verfahren einen Lösungsweg über § 34 StGB, also einen rechtfertigen Notstand, aufgezeigt. Im Rahmen dieser Norm sind Rechtsgüter abzuwägen. Geschütztes Rechtsgut des § 353 d StGB soll der Schutz der Unbefangenheit von Verfahrensbeteiligten, namentlich der Laienrichter und Zeugen, sein. Diese wurde in unserem Fall bereits durch unzulässige Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft angegriffen. Vor diesem Hintergrund, so unsere Argumentation, überwiege die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der von den verfälschenden Verlautbarungen betroffenen Personen das Interesse am Schutz des Strafverfahrens.

Der Amtsrichter am Amtsgericht Kiel ist ebenfalls von einer Rechtfertigung für das Handeln unseres Mandanten ausgegangen. Er hat diese Rechtfertigung direkt aus einer Grundrechtsabwägung entnommen. Das ist ein interessanter Ansatz, der in der Strafrechtswissenschaft und -praxis bislang jedenfalls noch nicht allgemein anerkannt ist. Wir werden das Urteil, sobald es uns in schriftlicher Form vorliegt, an die einschlägigen Fachzeitschriften zur Veröffentlichung senden.

Das Urteil ist rechtskräftig.