Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat sich in ihren Ausschüssen Strafprozessrecht und Strauda (Strafrechtsausschuss) intensiv mit dem Gesetzentwurf zur Einführung der audio-visuellen Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung befasst und diesen mit ausführlichen Stellungnahmen begrüßt. Dem Ausschuss Strafprozessrecht gehört auch unser Partner Michael Gubitz an.

Worum geht es? Bislang findet im Strafprozess eine überprüfbare Dokumentation der Beweisaufnahme und ihrer Ergebnisse nicht statt. Am Landgericht werden nur wesentliche Förmlichkeiten (z.B. Aufruf, Belehrungen, Anträge, Zwischenentscheidungen, Personalien von Zeugen, Art der Beweisaufnahme), jedoch nur in Ausnahmefällen auch Inhaltliches protokolliert. Eine „offizielle“ Niederschrift dessen, was Zeugen aussagen, findet nicht statt. Jede:r Beteiligte schreibt nach eigenem Ermessen fleißig mit und nicht selten wird sich an Folgetagen eifrig um die Richtigkeit des Notierten gestritten.

Immer, wenn dieser Umstand Außenstehenden erzählt wird, stößt dies auf ungläubiges Erstaunen. Immerhin wird in diesen Prozessen über erhebliche Eingriffe in die Grundrechte (Freiheit, Vermögen) der Angeklagten entschieden. Dabei sollte doch wenigstens gewährleistet sein, dass dies auf einer möglichst unbestreitbaren Tatsachengrundlage geschieht.

Das ist nicht der Fall, im Gegenteil: Mit diesem Defizit an Dokumentation der Verhandlung geht ein Übermaß an Vertrauen in die tatrichterliche Unfehlbarkeit, was die Wahrnehmung und Wiedergabe der Beweisaufnahme und des Verlaufs der Verhandlung angeht, einher. Die Darstellung im Urteil hierzu kann kaum aussichtsreich mit der Revision angefochten werden, insoweit soll ein „Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme“ gelten. Das wird seit Jahrzehnten von Anwaltsseite und aus der Wissenschaft angegriffen. Richter:innenverbände und staatsanwaltschaftliche Interessenvertretungen konnten mit dem Status quo gut leben.

Doch nun kommt Bewegung in die Sache und es gibt einen Referentenentwurf des BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz DokHVG), Stand: 22.11.22, sowie einen des Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer: AlternativEntwurf Audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung (AEADH).

In dem Informationsschreiben des BRAK-Ausschusses Strafprozessrecht an alle Rechtsanwaltskammern heißt es:

„Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Umstellung des Protokollierungssystems auf einen modernen technischen Standard sollten so schnell wie möglich geschaffen werden (…). Die durch digitale Aufzeichnungstechniken entstandenen Möglichkeiten zur Anfertigung einer Bild-Ton-Aufzeichnung müssen für das Strafverfahren nutzbar gemacht werden. Gegenstand des Strafverfahrens ist die Frage, ob ein staatlicher Grundrechtseingriff von erheblicher Tragweite angeordnet wird. Schon deshalb müssen die äußeren Rahmenbedingungen des Verfahrens nach Möglichkeit so gestaltet werden, dass ein gerichtliches Urteil auf zutreffender Tatsachengrundlage ergeht.

Dazu gehört bei dem heute erreichten Stand der Aufzeichnungstechnik, dass auch der Verlauf einer Hauptverhandlung in Strafsachen so dokumentiert wird, dass innerhalb des Verfahrens jederzeit sowohl für die Verfahrensbeteiligten der jeweiligen Hauptverhandlung als auch für die weiteren Verfahrensbeteiligten in gegebenenfalls späteren Rechtsmittelinstanzen nachvollzogen werden kann, welchen Inhalt die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hatte.

Dies wird sich auf den Prozess der Entscheidungsfindung in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken: Die Mitglieder des Gerichts sind nicht mehr gezwungen, selbst Mitschriften anzufertigen, wenn ihnen eine authentische Dokumentation der Hauptverhandlung zur Verfügung steht. Zugleich ist sichergestellt, dass der Inhalt mündlicher Äußerungen in der Hauptverhandlung (insb. von Sachverständigen und von Zeugenaussagen) jederzeit zuverlässig nachvollzogen werden kann. (…) Auseinandersetzungen über den Inhalt von mündlichen Erklärungen, die in der Praxis immer wieder auftreten, können auf diese Weise vermieden werden.

Schon weil zu erwarten ist, dass bis zur praktischen Umsetzung durch die Justizverwaltungen noch ein erheblicher Zeitraum vergehen wird, sollte das Gesetzgebungsverfahren möglichst rasch vorangebracht werden. Die Einführung eines modernen audiovisuellen Aufzeichnungssystems wäre ein Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Strafprozesses. Angesichts des heute erreichten Standes der Aufzeichnungstechnik ist sie ein Gebot der Stunde.“

   

Dokumentation der Hauptverhandlung

   

Die gesamte Stellungnahme finden Sie (auch) hier.