Der sog. Fielmann-Prozess am Landgericht Kiel war bereits Thema auch in überregionalen Medien (vgl. nur hier bei Legal Tribune Online). Angeklagt sind insgesamt sechs Personen, darunter ein Mitarbeiter der Werbeabteilung der Fielmann AG und vier Mitarbeiter:innen und Inhaber von Werbeagenturen sowie ein weiterer Betriebsinhaber. Grob zusammengefasst lauten die Vorwürfe wie folgt: Es sollen von fünf der Angeklagten Leistungen unter Vorlage gefälschter Zeitungsartikel abgerechnet worden sein. Die Fielmann AG hat in den Jahren bis 2014 Werbeleistungen bei den Agenturen eingekauft. Diese bestanden im Wesentlichen darin, sog. Trikotaktionen durchzuführen. Dabei wurden Kinder- und Jugendmannschaften im Ballsportbereich kostenlos Sporttrikots zur Verfügung gestellt und die örtliche Presse hat darüber berichtet. Ab dem Jahr 2014 war der Fielmann AG daran gelegen, dass die Rechnungstellung insbesondere die Berichterstattung hervorhob.  Die Einzelheiten sind, wie so oft, streitig. Insbesondere weist die Verteidigung die in der Anklage genannten Schadenssummen und Fallzahlen zurück und betont, dass demgegenüber in vielen Fällen tatsächlich die wesentlichen Leistungen, wie Organisation der Events und Übergabe von Trikots, stattgefunden haben.

Bei uns sind die Kollegen Prof. Dr. Gubitz und Dr. Buchholz mit der Verteidigung eines der Angeklagten betraut. Anders als bei LTO angedeutet, ist eine Verständigung unter den Verfahrensbeteiligten über einen einvernehmlichen Verfahrensabschluss nicht zustande gekommen. Das hat vor allem einen Grund: Die Zeugenaussage des ehemaligen Abteilungsleiters für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Diese hat nämlich erhebliche Zweifel an der Hypothese der Anklageschrift aufgeworfen. Der Abteilungsleiter hat nur sehr vage Angaben dazu gemacht, was er bei Vorlage einer Rechnung geprüft hat. Er will auch nicht gewusst haben, was überhaupt Gegenstand der (nur in mündlicher Form abgeschlossenen) Verträge zwischen Fielmann und den Werbeagenturen war. In seinen Vernehmungen hat er überdies angegeben, dass überhaupt „keine echte Prüfung“, sondern nur eine „auf Plausibilität“ stattgefunden habe.

Gerade die letztere Formulierung hat nun zu einer spektakulären Wende im Prozess geführt. Diese Angaben ließen sich nämlich mit der übrigen Beweisaufnahme nicht in Einklang bringen. Bei einer Prüfung „auf Plausibiltät“ hätte sich dem Abteilungsleiter aufdrängen müssen, dass die angegeben Trikotpreise viel zu niedrig sind und die Dienstleistungen der Agenturen in deren Rechnungen völlig fehlen. Dass der Zeuge dies ignoriert habe, sei nicht mit Gutgläubigkeit zu erklären.

Die von Beginn des Prozesses an unermüdlich von der Verteidigung vorgebrachten Zweifel am Vorliegen einer Täuschung, eines Irrtums und eines Schadens und damit an nahezu allen Betrugsmerkmalen wurden damit bestärkt. Auch das Gericht folgt nun der Bewertung, dass dieser Abteilungsleiter kein taugliches Betrugsopfer war, da er keinem Irrtum unterlag. Die Betrugsvorwürfe sind damit vom Tisch.

Das wurde den Prozessbeteiligten am 24. August mitgeteilt. Für fünf der sechs Angeklagten bedeutet dies, dass sie nun sicher nicht mehr ins Gefängnis müssen. Entsprechend groß waren Freude und Erleichterung bei den im Gerichtssaal anwesenden Freunden und Verwandten. Nach kurzer Bedenkzeit wurde diese Einschätzung auch von den beiden anwesenden Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft geteilt. Nur der mitangeklagte ehemalige Fielmann-Mitarbeiter muss noch eine Inhaftierung befürchten, denn ein Untreue-Vorwurf bleibt bestehen, ebenso wie die Beihilfe dazu durch die Anderen, für die dieser Vorwurf aber ganz erheblich weniger schwerwiegend ist.

Dieser Fielmann-Prozess wirft weitere Fragen auf. So ist bislang auch nach der Vernehmung eines Mitarbeiters der internen Revision und eines Vorstandsmitgliedes völlig unklar geblieben, welchen Hintergrund die von den Angeklagten eingeforderte veränderte Rechnungsstellung im Jahr 2014 hatte. Damit wird der Verdacht weiter genährt, dass es ein „System Fielmann“ (siehe KN vom 16. August 2022) gab, in dem es ein fragwürdiges Spendensystem gab und Privatvergnügungen als Betriebsausgaben geltend gemacht wurden. So hat es der angeklagte Fielmann-Mitarbeiter ausgesagt. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass diese Fragen im Prozess noch endgültig geklärt werden, zumal die betreffenden Verantwortungsträger nicht angeklagt sind und etwaige Straftaten höchstwahrscheinlich verjährt wären.

Das Gericht sieht den Fielmann-Prozess „auf der Zielgeraden“. Die Verteidigung hat nach den jüngsten Entwicklungen ebenfalls nichts dagegen, nun schnell zu dem erwarteten gerechten Urteil zu kommen.