Für das aktuelle Heft der Neuen Zeitschrift für Strafrecht durfte unser Kollege Gubitz das Editorial verfassen. Es sollte darin ein kurzes Schlaglicht auf den gesetzgeberischen Aktionismus im Bereich Strafrecht und Strafverfahrensrecht geworfen werden:

„Im späten Herbst der Legislaturperiode liegt nach einem Referentenentwurf aus dem BMJV nun auch der Regierungsentwurf für neue Straf(verfahrens)normen vor. Dieser soll dem Anliegen Sorge tragen, dass die Strafrechtspflege „ihre wesentlichen verfassungsrechtlichen Aufgaben … zu erfüllen vermag“. Wie so oft auf dem Gebiet des Strafrechts (vgl. Kölbel Editorial StV Heft 2, 2021: „Offenbarungseid der punitiven Routine“) vermisst der interessierte Leser der Entwurfsbegründung valide Erkenntnisse dazu, dass das bislang nicht der Fall ist. Nach „Effektivierung“ (2017) und „Modernisierung“ (2019) nun also die Fortentwicklung der Strafprozessordnung (und anderer Gesetze). Derartiger Reformeifer ohne nachvollziehbare Darstellung des Bedarfs, ohne Rücksichtnahme auf das sensible Kräfteverhältnis im Strafprozess oder endlich einmal Evaluierungen vorangegangener Änderungen provoziert zuverlässig kritische Gegenstimmen. Doch die Fleißarbeiten der im Gesetzgebungsverfahren Angehörten aus Wissenschaft, BRAK und DAV verklingen in Berlin zumeist ungehört. Einige werden zu feuilletonistisch, andere zu rechtsdogmatisch lesenswerten Veröffentlichungen, nur ihren eigentlichen Zweck erreichen sie selten. Das nächste neue Gesetz kommt trotzdem.

In diesem Fall der Fortentwicklung sogar noch mit Verschärfungen von Referenten- zu Regierungsentwurf: § 95a StPO-E hat sich eingeschlichen und für die Strafverfolger die Möglichkeit geschaffen, dem Beschuldigten eine Durchsuchung und Beschlagnahme bei Dritten ggf. bis zum Abschluss der Ermittlungen nicht zu offenbaren. Die massive Einschränkung der Beschuldigtenrechte ist dabei nicht einmal auf die Verfolgung besonders schwere Delikte beschränkt, verwiesen wird insoweit nur auf den Katalog von § 100a StPO. In der Stellungnahme der BRAK wurde der berechtigte Zweifel geäußert, dass dieser Paradigmenwechsel hin zum geheimen Verfahren mit den Vorgaben des BVerfG vereinbar ist. Und eine aktuelle, vielbeachtete Entscheidung des Zweiten Senats zeigt Widersprüche des Gesetzentwurfs zum Verfassungsrecht auf. Das seit 2017 geltende Einziehungsrecht soll nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes verstoßen. Begründet wird dies aber unter anderem damit, dass es ein Korrektiv auf Vollstreckungsebene gibt: § 459 Abs. 5 StPO (Rdnrn. 121 und 127). Genau dieser Entreicherungseinwand soll aber fortentwickelt (= abgeschafft) werden. Das ist aus vielen Gründen abzulehnen. Und mit dem oben zitierten Anliegen, verfassungsrechtliche Aufgaben erfüllen zu wollen, ist dieser vorhersehbare Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG (jedenfalls für die aktuell noch zahlreichen Sachverhalte aus der Zeit vor der Gesetzesänderung 2017) sicher nicht zu vereinbaren.“


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