Die mögliche Strafbarkeit nach § 266a StGB – Vorenthalten von Arbeitsentgelt – setzt Vorwertungen im Sozial- und Arbeitsrecht (zur Frage der Scheinselbstständigkeit) voraus. Diese wiederum hängen von zahlreichen Einzelfaktoren bei der Ausgestaltung der tatsächlichen Arbeitsbedingungen ab. Schon hieraus wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen zulässigem Honorarkraftverhältnis und strafbarer Scheinselbständigkeit nicht immer ganz einfach zu treffen ist. Diesem Umstand trägt auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGH, Urt. v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17) Rechnung. Unser Mitarbeiter Rechtsanwalt Dr. Buchholz hat in der aktuellen Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht NZWiSt (3/2020) zu der Verschränkung der verschiedenen Rechtsbereiche einen umfangreichen Beitrag veröffentlicht.
Maßgeblich bei der Beantwortung der arbeitsstrafrechtlichen Fragen ist neben der o.g. Entscheidung des BGH auch eine des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 7.6.2019 – B 12 R6/18 R). Unser Kollege Buchholz zeichnet diese Entscheidung in ihren zahlreichen Facetten nach und begründet hinsichtlich der subjektiven Tatseite des § 266 StGB einen Ansatz für die Verteidigung. Zwar lässt sich der Entscheidung des BSG entnehmen, dass Pflegekräfte in aller Regel abhängig beschäftigt sind. Der BGH erwägt jedoch, zukünftig auch die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln. Leitend war dabei für die Richter des BGH eine Parallele zum Steuerstrafrecht, in dem die irrige Annahme, es sei kein Steueranspruch entstanden, unter bestimmten Umständen die Bestrafung wegen vorsätzlichen Handelns ausschließt. Diese Grundsätze lassen sich vor dem Hintergrund einer sorgfältigen Aufarbeitung und Anwendung der vom BSG entwickelten Grundsätze auf die Auslegung des § 266a StGB übertragen.
Aus der Kombination beider Entscheidungen folgt sodann: Wenn mehrere Kriterien im Rahmen der nach dem BSG erforderlichen Gesamtabwägung gegen die Scheinselbstständigkeit sprechen und diesen einiges Gewicht zu kommt, d.h. die Klassifizierung als selbständige Pflegekraft durch den Entscheidungsträger des Pflegeheims erscheint vertretbar, dürfte diese Einschätzung nach dem obiter dictum des BGH einen Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB und damit die Straflosigkeit eines derartigen Handelns begründen.