Hat die Verteidigung bei der Durchsicht von vorläufig sichergestellten Datenträgern nach § 110 Abs. 1 StPO ein Anwesenheitsrecht? Diese Frage wird besonders in vielen wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren immer wieder kontrovers diskutiert, da dort regelmäßig auch umfangreiche sensible Datenbestände von unbeteiligten Dritten betroffen sind. Außerdem drohen, wie stets, Zufallsfunde.
Die Rechtsprechung zum Thema ist rar und uneindeutig. Es existieren nur sehr wenige veröffentlichte instanzgerichtliche Entscheidungen, und das Bundesverfassungsgericht hat zu der Frage nur vage Position bezogen: Es kommt demnach auf eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls an. Welche konkreten Umstände dafür aber maßgeblich sein sollen, blieb offen.
Unser Kollege Dr. Buchholz hat in einem Fachbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht die Grundlagen des Anwesenheitsrechts nach der Rechtsprechung dargestellt und die konkreten Umstände, die herangezogen werden können, um ein Anwesenheitsrecht zu begründen, systematisiert. Dabei konnte er auch auf eine von ihm erwirkte Entscheidung des Landgerichts Kiel aus dem Juni 2021 zurückgreifen.
Hiervon ausgehend leitet RA Buchholz ein weitergehendes Anwesenheitsrecht aus einer Analogie zu den §§ 106, 110 StPO her. Dabei entkräftet er auch das gängige Gegenargument, das sich auf die Streichung des zuvor geregelten Anwesenheitsrechts durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz in 2004 stützen zu können meint.