Am 9. Januar wurde im NDR ein Bericht über die beschleunigten Verfahren am Amtsgericht Neumünster ausgestrahlt, in dem unser Partner Strafverteidiger Gubitz zu Wort kam. Leider waren einige der Argumente, die gegen den „kurzen Prozess“ sprechen, zwar aufgenommen, aber nicht ausgestrahlt worden, so dass wir nun doch noch dieses Forum nutzen wollen, um das Wesentliche dazu zusammenzufassen. Außerdem schließt der Filmbericht mit einem Zitat des Direktors des Amtsgerichts Neumünster Martins: „Die Beweisregeln für das beschleunigte Verfahren sind genau die gleichen wie bei jedem anderen Verfahren auch“. Weil dieses Zitat den Abschluss des Berichts bildete und dem Fernsehzuschauer auch unmittelbar im Anschluss an eine entgegenstehende Äußerung unseres Kollegen unterbreitet wurde, soll ein Faktencheck erfolgen:

§ 420 StPO bestimmt zur Beweisaufnahme in beschleunigten Verfahren das Folgende:

„(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch Verlesung von Protokollen über eine frühere Vernehmung sowie von Urkunden, die eine von ihnen erstellte Äußerung enthalten, ersetzt werden.

(2) Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen über ihre dienstlichen Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse sowie über diejenigen ihrer Angehörigen dürfen auch dann verlesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 256 nicht vorliegen.“

Der Unterschied zum „normalen“ Verfahren ist also beispielsweise, dass Zeugen nicht gehört werden müssen, sondern deren Aussagen verlesen werden können. Dass dies einen erheblichen Unterschied markiert, ergibt sich auch schon aus der Überschrift des § 420 „Beweisaufnahme“ (des beschleunigten Verfahrens) , denn die Beweisaufnahme des „normalen“ Strafverfahres ist in den §§ 244 ff. StPO (§ 244 ebenfalls mit der Überschrift „Beweisaufnahme“) geregelt, zur Frage der Verlesbarkeit von Zeugenaussagen siehe insb. §§ 250 ff. StPO.

Von der NDR-Redakteurin wurde unserem Kollegen Gubitz ein KN-Artikel vom 2. Oktober 20 vorgelegt, in dem Direktor des Amtsgerichts Martins u.a. damit zitiert wird: „90 Prozent der ’schnellen Verfahren‘ werde gegen Asylbewerber oder andere Täter ohne festen Wohnsitz geführt.“ Dieser Anteil entspricht nicht einmal annähernd dem Anteil dieser Bevölkerungsteile an der Verurteiltenstatistik, eine verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Ungleichbehandlung ist mit Händen zu greifen. Diese Äußerung musste also Kritik hervorrufen.

Einige Thesen zum beschleunigten Verfahren nun hier noch einmal zusammengefasst:

  • S.o., § 420 StPO: durch das vereinfachte Beweisprogramm werden die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit verletzt, die unzureichende Aufklärung wird in bestimmten Fällen die einschneidenden Freiheitsstrafen erst ermöglichen.
  • Das beschleunigte Verfahren geht oft mit Hauptverhandlungshaft (die bis zu einer Woche dauern kann) einher, auch insoweit kommt es auch zu einer strukturellen Benachteiligung von Ausländern und Asylbewerbern, weil bei diesen die Voraussetzungen der Hauptverhandlungshaft schneller bejaht werden.
  • Es ist naheliegend, dass wichtige Strafzumessungsgründe im „kurzen Prozess“ gar nicht aufgeklärt werden (können).
  • Die Beteiligung einer*es Verteidigerin*s ist gesetzlich notwendig, wenn eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und einem Jahr zu erwarten ist. Leider gibt Strafverteidigerkolleginnen und -kollegen, die sich in diesen Fällen unter der Voraussetzung, dem beschleunigten Verfahren nichts entgegen zu setzen, zum/zur Pflichtverteidiger*in bestellen lassen. Auch die eigene Zunft ist daher zu kritisieren. Mit aktiver Verteidigung können beschleunigte Verfahren vermieden werden.
  • Es kommt zu (Geld-, aber auch Freiheits‑) Strafen auch in Verfahren, in denen es sonst zu einer Einstellung kommen könnte. Strafe ist aber, auch im Fall eines Schuldnachweises, nicht per se etwas Gutes (die Einzelheiten des Wesens und Wirkens von Strafe können hier nicht dargestellt werden, kritische Leser*innen, die keine Jurist*innen sind, können schon bei Wikipedia einen ersten Eindruck bekommen).
  • Die gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Bemühungen sollten eher dahin gehen, auch normale Strafverfahren zügiger durchzuführen, als vereinzelte Verfahren (zu) schnell.

 

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