AG Kitzingen folgt Rechtsauffassung von RA Buchholz
Machen sich kirchliche Entscheidungsträger strafbar, wenn sie Kirchenasyl gewähren? Im Verlauf der strafjuristischen Aufarbeitung der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 wird diese Frage immer noch intensiv diskutiert. Wiederholt wurden Mönche, Pastorinnen oder Gemeinderatsmitglieder in den vergangenen Jahren wegen Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verurteilt oder sie mussten sich auf Zahlungsauflagen nach § 153a Abs. 1 StPO einlassen, damit das Strafverfahren eingestellt wird. In beiden Fällen stieß das staatliche Verhalten bei den Verurteilten in aller Regel auf Unverständnis. Sie, die Menschen in größter Not geholfen haben, sollen sich strafbar gemacht haben. Sie, die aufgrund ihres Gewissens und Glaubens überhaupt keine andere Wahl als die Hilfeleistung durch Kirchenasyl hatten, wurden staatlicherseits als Straftäter gebrandmarkt.
Strafrechtlich sind diese Kirchenasyl-Fälle im Einzelfall höchst kompliziert. Nicht selten ist der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bei der Gewährung von Kirchenasyl tatsächlich erfüllt. Es gibt aber eine Reihe von Ausnahmen, die sich aus den Tiefen des Aufenthaltsrechts (Stichwort: „Dublin“) und auch allgemeinen verwaltungsrechtlichen Garantien ergeben (hier konnten Kollegen unserer Kanzlei auch verschiedentlich schon Erfolge in der Verteidigung von Asyl-Gewährenden erzielen). Zudem macht die einfache Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens es noch nicht zur Straftat. Notwendig ist auch, dass der Beschuldigte schuldhaft handelte. Damit ist gemeint, dass das tatbestandsmäßige Handeln ihm auch persönlich vorwerfbar sein muss.
Zu dieser Frage, ob sich nämlich ein kirchlicher Entscheidungsträger auf seine (höchst subjektiv ausgeformte) Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 GG berufen und dadurch entschuldigt sein kann, hat nun vor wenigen Tagen das Amtsgericht Kitzingen eine sehr mutige und gut begründete Entscheidung getroffen (Urteil vom 26. April 2021 – 1 Cs 882 Js 16548/20): Das Gericht sprach den angeklagten Mönch frei.
Dabei konnte das Gericht auf ein sog. obiter dictum des OLG München aus dem Mai 2018 (4 OLG 13 Ss 54/18) zurückgreifen, in welchem der Senat (der in dem seinerzeit von ihm zu entscheidenden Fall bereits auf Tatbestands- bzw. Rechtswidrigkeitsebene zur Straflosigkeit gelangt war) bereits eine gewisse Neigung zu der nun vom Amtsgericht Kitzingen dargelegten Rechtsansicht gezeigt hatte.
Einen der zentralen Punkte der ablehnenden Auffassung in der Fachwissenschaft bügelt das Amtsgericht dabei gekonnt knapp ab: Die Glaubens- und/oder Gewissensfreiheit soll nach dieser Auffassung nicht geeignet sein, ein Verhalten strafrechtlich zu entschuldigen, da eine objektive Bewertung des erforderlichen Maßes an Überzeugung nicht möglich erscheine. Mit anderen Worten: Der eine glaubt an Jesus Christus, ein anderer an das Fliegende Spaghettimonster und ein Dritter an Kaiser Franz Beckenbauer – soll dann das in deren Namen Geschehene ohne weiteres entschuldigt sein? Diese auf den ersten Blick grundsätzliche Frage reduziert das Amtsgericht Kitzingen auf eine Beweisfrage: „Mögliche Schwierigkeiten bei der Aufklärung eines Sachverhaltes […] gestatten [es nicht], die Reichweite eines Grundrechts insgesamt zu beschneiden.“
Das immerhin siebzehn Seiten lange Urteil konnte bei dieser Frage, aber auch bei allen anderen kritischen Punkten auf zwei fachwissenschaftliche Beiträge unseres Kollegen RA Dr. Buchholz aus dem Jahr 2018 (StrafverteidigerForum 2018, S. 506 ff.) sowie 2019 (Strafverteidiger 2019, S. 614 ff.) zurückgreifen und tat dies auch wiederholt. Dort nahm Herr Buchholz das obiter dictum des OLG München bereits auf und begründete eben diese nun auch vom Amtsgericht Kitzingen vertretene Auffassung, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit im Einzelfall ein Entschuldigungsgrund darstellen können. Wir freuen uns daher sehr, in dieser juristisch spannenden und politisch brisanten Debatte einen kleinen Beitrag geleistet zu haben.