Die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, Marit Hansen, wird in den nächsten Tagen eine zweite Schadensersatzklage wegen Rechtsverstößen der Staatsanwaltschaft Kiel beim zuständigen Gericht einreichen. Dies ist bereits Gegenstand der Berichterstattung der Kieler Nachrichten (und des shz (Schmutziger Schachzug gegen oberste Datenschützerin Marit Hansen“ – alle Artikel leider hinter paywall).

Es geht dabei um Folgendes:

Die Staatsanwaltschaft Kiel hatte ab 2015 gegen Frau Hansen ermittelt. Wie von Anfang an von der Verteidigung betont, war der entsprechende Verdacht unbegründet, die Ermittlungen wurden im Jahr 2019 endlich eingestellt. Weil die Dauer von über dreieinhalb Jahren rechtswidrig war, hat Frau Hansen eine Schadensersatzklage beim Oberlandesgericht Schleswig eingereicht und den Prozess gewonnen.

Die zweite Klage richtet sich nun gegen einen weiteren Rechtsverstoß der Staatsanwaltschaft Kiel. Dieser hat darin gelegen, ausgerechnet demjenigen, der Frau Hansen zu Unrecht angezeigt hat und auf dessen unwahren Behauptungen die Ermittlungen beruhten, unzulässiger Weise Bestandteile der Akte des gegen Frau Hansen geführten Verfahrens überlassen zu haben. Diese Person wurde von unserem Kollegen Gubitz wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) angezeigt. Die Anzeige griff konkrete Behauptungen der Person auf und widerlegte diese. Das Verfahren gegen die Person wurde im Jahr 2020 eingestellt, der zuständige Staatsanwalt meinte, nicht nachweisen zu können, dass ihre falschen Behauptungen „wider besseres Wissen“ aufgestellt wurden.

Damit sind wir beim Thema der neuen Klage: Die Person hatte im Jahr 2020 Akteneinsicht in das gegen Frau Hansen geführte Verfahren beantragt und nach einer Intervention unseres Kollegen Gubitz nicht erhalten. Von Frau Hansen und ihrem Verteidiger musste befürchtet werden, dass die in der Akte enthaltenen vertraulichen Daten von der Person für weitere unlautere Zwecke missbraucht werden würden (was dann später auch geschah, dazu kommen wir noch). Es konnte also zunächst verhindert werden, dass die Person sensible Informationen erhält. Dann geschah jedoch etwas Erstaunliches: Die Staatsanwaltschaft Kiel hat, ohne dass hierfür irgendeine Rechtfertigung nachvollziehbar wäre, wesentliche Teile aus dem gegen Frau Hansen geführten Verfahren in die Akte des gegen die Person geführten Verfahrens übernommen.

Das konnte aus hiesiger Sicht nicht mit den Ermittlungen wegen falscher Verdächtigung begründet werden; hinzu kam, dass diese Übernahme auch noch äußerst selektiv erfolgte, denn sie betraf nur negative Bewertungen/Vermerke der Staatsanwaltschaft. Deren Inhalt hat sich später als unzutreffend herausgestellt, worauf in den Erwiderungen und Stellungnahmen der Verteidigung auch mit ausführlicher Begründung hingewiesen wurde. Diese Schriftstücke der Verteidigung wurden aber bezeichnender Weise nicht zu der Akte des gegen die Person geführten Verfahrens genommen. Auf diese Weise wurde also ein falsches Bild vermittelt.

Bei der Übersendung der Akte an die Person hat die Staatsanwaltschaft Kiel dann auch noch gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, § 32 f Abs. 5 der Strafprozessordnung bestimmt (sämtliche Hervorhebungen von hier):

„Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, dürfen Akten, Dokumente, Ausdrucke oder Abschriften, die ihnen nach Absatz 1 oder 2 überlassen worden sind, weder ganz noch teilweise öffentlich verbreiten oder sie Dritten zu verfahrensfremden Zwecken übermitteln oder zugänglich machen“ .

Und in Satz 4 steht das für die Staatsanwaltschaft Entscheidende:

„Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, sind auf die Zweckbindung hinzuweisen.“

Darauf hat die Staatsanwaltschaft bei der Übersendung der Akte verzichtet. Ein weiterer Fehler, der sich noch entscheidend auswirken sollte. Wie von der Verteidigung befürchtet, hat die Person nämlich in der Folge auf verschiedenen Ebenen versucht, Frau Hansen massiv zu schaden. Es ist also genau das eingetreten, was die Verfahrensvorschriften verhindern sollten:

Die Person verteilte den Aktenauszug samt seiner Kommentierung an einen großen Empfängerkreis, nämlich Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtages, die Staatskanzlei bzw. den Ministerpräsidenten sowie wohl weitere verfahrensunbeteiligte Dritte. Die Person beabsichtigte damit ganz offensichtlich, die Wiederwahl und Ernennung der Klägerin zur Landesbeauftragten für Datenschutz zu sabotieren. Dass dies nicht gelungen ist, liegt an der hohen Wertschätzung, die Frau Hansen trotz des Agierens der Staatsanwaltschaft und des Anzeigeerstatters in weiten Teilen schleswig-holsteinischer Verantwortungsträger*innen genießt.

Frau Hansen ist nach den Erfahrungen in ihrem Ermittlungsverfahren nicht gewillt, die Rechtsverstöße hinzunehmen. Diese beruhen auf einem Versagen innerhalb der Staatsanwaltschaft, indem diese nicht durch die gebotenen technischen und organisatorischen Maßnahmen sicherstellte, dass eine solche datenschutzrechtswidrige Verarbeitung und ein derartiges Verhalten unterbleiben (§§ 52, 53, 64 BDSG i. V. m. Art. 32, insbesondere Art. 32 Abs. 4, DS-GVO). Frau Hansen klagt auf Schadensersatz (§ 83 BDSG).

Nachtrag: Die Klage ist nun am 30. September durch den Kollegen Dr. Jens Eckhardt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, Düsseldorf, beim Landgericht Kiel eingereicht worden (Zeit Online/dpa berichten u.a. hier – paywall und hier die taz).