Das sind die Fälle, die Außenstehende regelmäßig in Aufregung versetzen: Wieder ein Krimineller auf freiem Fuß, nur weil lästige Verfahrensvorschriften nicht eingehalten wurden; oder, wenn es Richtung Stammtisch geht: … nur weil Kuscheljustiz wieder mal Verständnis mit „dem Täter“ hatte/Richter:innen Ihren Job nicht machen … oder, oder …
Kritik am Rechtsstaat ist wohlfeil. Dabei ist es doch so einfach. Alle sollten froh sein, dass er funktioniert und es eine Kontrolle rechtswidrigen Handelns von Privatpersonen, Behörden und eben auch Gerichten durch Gerichte gibt. Schon morgen kann jeder, der die Gerichte heute für die Durchsetzung des Rechts kritisiert, selbst auf rechtsstaatliche Entscheidungen angewiesen sein.
Dies vorangeschickt, mag auch diese Entscheidung verständlicher sein. Seit Anfang Januar saß der Mandant unseres Kollegen Dr. Schaar in Untersuchungshaft. Diese Art der Freiheitsentziehung setzt weder ein rechtskräftiges noch überhaupt ein Urteil voraus, er darf also als unschuldig gelten. Es gab allerdings nach Ansicht der Gerichte einen dringenden Tatverdacht. Der allein reicht nun aber nicht für Untersuchungshaft, sondern es muss auch noch ein Haftgrund (hier Fluchtgefahr, weil aus Sicht des Gerichts die Straferwartung hoch ist) hinzukommen. Und, natürlich, das ist bei jeder Rechtsanwendung in einem Rechtsstaat selbstverständlich, ist die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies gilt umso mehr dann, wenn bereits 6 Monate Haft vollzogen worden sind, § 121 StPO. Das bedeutet zugleich, dass Ermittlungen und Verfahren in den Fällen, in denen Untersuchungshaft vollzogen wird, beschleunigt durchgeführt werden müssen.
Hier waren nun folgende Fehler passiert: Die Anklage war von der Staatsanwaltschaft beim falschen, weil örtlich unzuständigen Gericht erhoben worden, was die ersten zwei Wochen Verzögerung zur Folge hatte. Und dann war dem Angeklagten auch keine Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache zugegangen. Also ein Fehler der Staatsanwaltschaft und einer, den man sowohl der Staatsanwaltschaft als auch dem Gericht anlasten kann. Das mit der Nicht-Übersetzung ist etwas unverständlich, weil (natürlich) ein Vorführtermin (das ist die „Verhandlung“, in der in Gegenwart des Beschuldigten entschieden wurde, dass er in Haft geht) mit Dolmetscher stattgefunden hatte. Also musste eigentlich jedem, der die Akte kennt, klar sein, dass es einer Übersetzung bedurfte. Und die Akte sollte die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung kennen und das Gericht bei Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung.
Aber individuelle Fehler passieren, wo Menschen arbeiten. Und dann ist es ja gut, wenn es eine funktionierende rechtsstaatliche Kontrolle gibt. So hatte unser Kollege Schaar mit seinem Schriftsatz im Rahmen der sog. 6-Monats-Prüfung (§§ 121, 122 StPO), in der er auf die Verstöße gegen ein rechtsstaatliches Verfahren hingewiesen hat, Erfolg.
Abschließende Bemerkung: In unser zugegebenermaßen subjektiven Statistik nehmen wir nicht mehr Fehler bei Gerichten und Staatsanwaltschaften wahr als bei allen Anderen (sicher nicht mehr als bei Anwält:innen – aber das ist ein weiteres Thema; siehe hier: Ich, der fehlerhafte Anwalt – und auch sicher nicht mehr als bei denen, die – zumeist von rechts – den Rechtsstaat kritisieren).