Unsere Kollegen Dres. Martin Schaar und Momme Buchholz verteidigen derzeit in einem Verfahrenskomplex, in dem es um das bandenmäßige Handeltreiben mit Betäubungsmitteln geht. Zeitweise saßen 10 Beschuldigte in Untersuchungshaft. Es besteht der Verdacht, dass die Beschuldigten ein Online-Angebot nutzten, mit dem Notizen erstellt und mit Anderen geteilt werden können. Daher kam es zu äußerst umfangreichen Beschlagnahmen von Daten auf den entsprechenden Servern. Zwei nach Anklageerhebungen zuständige Strafkammern haben dieses Vorgehen einmal genauer unter die Lupe gelegt. Dann haben die Richter:innen in ihren jeweiligen Verfahren zu einer eher ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen: In Schreiben an die Staatsanwaltschaft wurden kritische Nachfragen an die Ermittler gestellt. Dabei nahmen die Kammern ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Die obersten Gerichte hatten nämlich Vorgaben zu Fragen der Verhältnismäßigkeit einer Beschlagnahme bei großen Datenmengen und dem sog. Übermaßverbot formuliert, um zu weitgehenden Eingriffen entgegenzuwirken (vgl. insbesondere BVerfG, Beschluss vom 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02; BGH, Beschluss vom 24.11.2009 – StB 48/09; BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009 – 2 BvR 902/06).
In unserem Fall interessiert die Kammern insbesondere, wie die Ermittler täglich diese enormen Datenmengen von mehreren Tausend Nutzern ausgewertet und gefiltert haben. Gefragt werden die Strafverfolger auch nach den konkreten Suchbegriffen und Filtern. Außerdem interessiert die Richter:innen, wie die verdächtigen Accounts bestimmt wurden und ob nicht verdächtige Datensätze gelöscht wurden.
Vor dem Hintergrund der bereits vom Verfassungsgericht kritisierten Praxis überbordender Sicherstellungen auch höchstpersönlicher Daten und der mit der flächendeckenden Beschlagnahme verbundenen Eingriffe auch in die Rechte Dritter kann dieser Schritt des Gerichts nur ausdrücklich begrüßt werden. Offenbar haben beide Kammern dieses Vorgehen abgestimmt, denn in beiden Verfahren wurde mit gleichlautenden Schreiben die Staatsanwaltschaft adressiert. Dass dies zur Disziplinierung auch in zukünftigen Fällen beiträgt, bleibt zu hoffen und abzuwarten. Für uns sind die mit der Thematik verbundenen Rechtsfragen nicht nur in diesem, sondern auch in anderen laufenden Verfahren von hoher Aktualität und Relevanz. Nur durch Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen von Datenbeschlagnahmen kann die gezielte Suche nach Zufallsfunden wirksam unterbunden werden.
